32. Die Morgenröthe.

[226] Die Morgenröthe / nach der Poeten Meynung / ist vom Hyperione und Theja gebohren / welche auch einen Sohn / mit Nahmen Memnon, gezeuget: Und ist allezeit auf einem güldenen Wagen gefahren / hat Hände gehabt von Rosen. Die Bedeutung dieses Gedichts ist diese: Nemlich die Morgenröthe ist die Göttliche / köstliche und güldene Zeit / (dann ϑεῖον heisset so viel als Göttlich:) durch welche die Jünglinge / so dieselbe wol gebrauchen und in acht nehmen / zu grossen Ehren können gebracht werden /(ὑπερίον ist in die Höhe erhaben.) Der Sohn dieser Morgenröthe ist Memnon, das ist Gedächtniß / μνἡμη heist Gedächtniß / wodurch sie haben anzeigen wollen / daß man in den Morgen-Stunden sein etwas lernen und behalten könne. Auf diese Art haben die Poeten die jungen Knaben wollen vermahnen / daß / so sie wolten so wohl an weltlicher / als Göttlicher Weißheit zunehmen / solten sie die Früh-Stunden in acht haben / wie das teutsche Sprichwort lautet: Die Morgen-Stunde hat Brodt im Munde; Und das Lateinische: Aurora Musis grata. Es ist nie geleugnet worden / und kan nicht geleugnet werden / daß man zu einer Stunde des Morgens mehr ausrichten kan / als sonst in dreyen zu Mittage: Ursache / dann des Morgens ist das Gemüthe und Geblüte des Menschen frischer / hübscher[226] und genelgter etwas zu verrichten /nach dem alle Speise zu Nacht verdauet / und der Mensch gleichsam durch den Schlaff erfrischet worden. Die aber biß an den hellen Tag schlaffen / sind faul / nachläßig / und zu allen Dingen ungeschickt. Bey den Römern ist dieser Gebrauch gewesen / daß ein Freund den andern nicht hat besucht / oder ein freundlich Gespräche mit ihm angestellet / als des Morgens frühe: Und seynd deßhalben solche Besuchungen heilig gehalten worden. Vom Demosthenes schreibet Cicero, daß der darnach getrachtet / damit er des Morgens von niemand schlaffend angetroffen würde / daß er seine Arbeit frühe angefangen / und sich zu seinem Studiis für Tage gewandt / dann sagt er / wir solten der Sonnen nachfolgen; Solten zu Bette gehen / wann sie untergehet / und aufstehen wann sie aufgehet. Warlich es ist einem Jüngling grosse Schande / wann ihm die Sonne des Morgens noch auf dem Bette liegend findet / und faullentzend bescheinet: Alle Thiere / bevorab die Nachtigal / die Schwalbe /und andre Vögel / heben ihre Arbeit früh Morgens an / fangen für der Sonnen Aufgang an zu singen: Wie vielmehr solten das junge Gesellen thun? Die Blumen mehrentheils / die des Nachts sich zugethan / und gleichsam geschlaffen haben / breiten des Morgens früh / so bald die Sonne aufgehet / sich wieder aus: So sollen wir auch / wann die Sonne aufgehet / herfür kommen / und Horatii Lehre wol in acht nehmen / der also spricht: Poscesante diem librum cum lumine.

Wie dann auch des Plauti, da er sagt:


Vigilare decet hominem, qui sua tempore vult conficere negotia.


Wer da zu rechter Zeit das Seine will verrichten /

Der muß der Frühzeit Schlaff mit steiffen Ernst vernichten.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 226-227.
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