39. Warum das Unkraut mehr wachse als das Gepflantzte?

[237] Es war ein berühmter Philosophus zu Samo, mit Nahmen Xantus, bey den dienete Æsopus für einen Knecht. Auf eine Zeit gieng Xantus mit dem Æsopo in einen Garten / ausserhalb der Stadt / Küchen-Kräuter zu kauffen. Als nun Æsopus seinen Korb mit Kohl gefüllet hatte / und mit seinem Herrn nach der Stadt wiederkehren wolte / hat der Gärtner den Philosophum Xantum wieder zurück geruffen / ihn gebeten /er möchte es nicht übel aufnehmen / er hätte[237] einen grossen Zweiffel / davon wolte er gerne entfreyet seyn / und hoffte / er als ein fürnehmer weiser Mann würde ihn hierinn unterrichten. Xantus sagte / er solte fragen / was er wolte / da sprach der Grärtner: Herr / ich erfahre täglich / daß die Kräuter / welche von sich selbst aus der Erden wachsen / und nicht von mir gepflantzet werden / viel schöner grünen / und eher wachsen / als diejenigen / welche ich mit grosser Mühe und Fleiß pflantze. Ich möchte gerne wissen /wie doch solches käme? Xantus antwortet: Lieber Mann / daß solches geschicht / ist also von Gott geordnet / Gottes Vorsehung die machet eines besser wachsen / denn das ander. Als Æsopus diese Rede hörte / lachete er überlaut. Da ward Xantus zornig /und fragte / ob er ihn auslache? Æsopus sprach: Nein Herr / nicht dich / sondern den / der dich so übel in der Philosophie unterwiesen hat. Dann eine solche Antwort auf diese Frage könte auch wohl ein Hunds-Bube geben / und das weiß der Gärtner selber wohl /daß alles aus Gottes Anordnung geschicht. Aber so du wilt / so will ich ihm diese Frage recht weißlich auflösen. Xantus kehret sich zum Gärtner / sprechend: Lieber Mann / es will sich nicht gebühren / daß so ein grosser weiser Philosophus, als ich bin / mit einem jeglichen disputire / und auf eines jeden Fragen antworte. Aber allhier habe ich einen Knecht / der soll deinem Begehren gnug thun. Der Gärtner den Æsopum beschauend / sprach bey sich selber: O welch ein Ungeheuer von Menschen! Hat dieser Weißheit gelernet? Warum bin ich denn nicht auch ein Gelehrter worden? Æsopus fieng an und sprach zum Gärtner: Du fragest warum die Erde aus ihr selber Kräuter herfür bringe / und solche viel schöner / leichter und eher / ohne deine Arbeit /[238] als wann du sie mit grosser Mühe pflantzest. Gab ihm darauf zur Antwort: Die Erde ist eine Mutter so wol der Kräuter als aller Dinge: Was sie nun selber gebieret / und aus ihrem Schooß herfür wachsen lässet / dessen natürliche rechte Mutter ist sie: Darum nicht zu verwundern /daß sie solche Kräuter reichlich ernähre / erhalte / und schön herfür wachsen lasse. Aber was du in die Erde pflantzest / dessen Stieff-Mutter ist sie nur / und das seynd nicht ihre rechte Kinder / sondern von andern ihr zugebracht. Derhalben sie dieselben nicht so sehr liebet / pfleget und ernähret / eben als unter den Menschen / die Mütter haben die Kinder / aus ihrem Leibe gebohren / viel lieber / als fremde zugebrachte Stieff-Kinder. Diese Antwort und Auflösung der Frage / gefiel dem Gärtner so wohl / daß er zum Æsopo sagte: Er solte nur so offt als er wolte wieder kommen / und umsonst ohne Geld von ihm Kräuter holen.


Man thut wohl / daß man in zweiffelhafftigen Dingen kluge Leute um Rath fraget / und um Anweisung ersuchet. Ein Einfältiger triffts offt besser als ein Kluger.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 237-239.
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