44. [245] Historia des Gisippi und Titi.

Die Academia zu Athen war für Alters die allerberühmteste der gantze Welt / dahin aus allen Ecken und Enden sich versammleten alle / so Weißheit und Künste zu lernen gesinnet waren. Der Ursachen halber zog auch von Rom dahin ein sehr edler und fürnehmer Jüngling / Titus Quintus Fulvius, welcher /als er nicht lang zu Athen gewesen / bald mit einem andern Jüngling hohes Geblüts und Reichthums / Gisippus geheissen / grosse vertrauliche Freundschafft machte. Diese beyde studierten miteinander / hielten sich allezeit zusammen / und war nur ein Hertz in zweyen Leibern. Es begab sich aber / daß Gisippus sich in die edle Jungfrau / Sophronia genannt / verliebete / und endlich sich auch mit derselben verlobete. Wie die Hochzeit bald solte angesetzet werden / führet Gisippus seinen Freund und Bruder den Titum mit sich zu der Braut. Da wird Titus zur Stund mit hefftiger Liebe gegen Sophroniam entzündet: Gehet nach Hause / wird mit einer gefährlichen Kranckheit befallen / und darff unterdessen keinem Menschen die Ursach seines Leidens klagen. Gisippus sich hertzlich bekümmernde um seinen treuen Titum, hielt mit Bitten so viel bey ihm an / daß er endlich allen Handel erzehlt. Gisippus, ob er wol seine Braut von Hertzen lieb hatte / so war ihm doch sein Freund viel lieber /vermahnet Titum, er solte getrost und gutes Muths seyn / er wolte ihm seine Braut gerne überlassen. Hierauf werden sie Raths / und beschlossen / daß wann die Hochzeit mit Gisippo[245] und Sophronia vollendet / so solte Titus an statt Gisippi zu der Sophronia auf den Abend hinein gehen / und ihr Ehe-Mann werden / und solte Titus solches alle Abend thun: Des Tages aber wolte sich Gisippus stellen / als wäre er der Ehe-Mann. Solches wird ins Werck gerichtet /bleibet auch dieser Betrug etliche Zeit verhelet / und meynet Sophronia anders nicht / als daß sie des Gisippi Frau sey. Endlich wird Titus nach Rom beruffen / da muste sich der Handel offenbahren. Also ließ Titus den Rath von Athen und seiner Sophronien Freunde zusammen fordern / erzehlet ihnen / welcher massen er der Sophroniæ Ehegatte worden. Sophronia verändert die Liebe gegen Gisippo in einen tödtlichen Haß: Die Athenienser aber verjagten Gisippum nackend und bloß ins Elend. Titus zog mit seiner Sophronia gen Rom / allda er bald Bürgermeister ward. Gisippus aus seinem Vaterland verwiesen / kömmt gen Rom / nach seinem ausgestandenen Elend / zeigete sich von ferne dem Tito, der ihn doch nicht kannte. Daher er aus Zweiffelmuth sich in eine Höle verstecket / verhoffend allda sein Leben zu enden. Indem er allda verborgen sitzet / kommen zu Nacht zween Räuber / welche einen Diebstahl begangen. Und wie sie sich nicht über das gestohlene Gut vertragen können /ersticht der eine / mit Nahmen Publius Ambustus, den andern. Des Morgens ward der Todte für der Höle gefunden / und nicht fern von dannen der Gisippus. Alsbald ward Gisippus als ein Thäter ergriffen / der es nicht leugnete / sondern bekennete / er hätte den Mord gethan / damit er desto ehe vom Leben abkäme. Gisippus ward fürn Bürgermeister Marcum Varronem guten Rath-Hauß geführet / und nach allen Umständen[246] dieser That halber befraget. Unterdessen erkennet Titus unter den Raths-Herren sitzend / seinen getreuen Freund Gisippum: Springet auf von der Stelle /schreyet überlaut: Der arme Frembdling sey unschuldig / er habe den Todschlag begangen. Gisippus hingegen bath den Rath / sie solten solches nicht glauben / er wäre der rechte Thäter. Hierüber bestürtzete sich der Rath / wuste nicht / was diesen Wunderdingen zu thun wäre. Unterdessen war auch allda zugegen der rechte Mörder Publius Ambustus, welcher von seinem eigenen Gewissen überzeuget / gutwillig für den Richter Varronem trat / und seine That mit allen Umständen glaubwürdig berichtete. Darauf nicht allein Titus und Gisippus ledig erkannt / sondern auch der beyden getreuen Freunde halber dem Ambusto das Leben geschencket worden. Hierauf hat Titus dem Gisippo sein halbes Patimonium mitgetheilet und verehret / und ihm seine eigene Schwester Fulviam verheyrathet.


Ein getreuer Freund gehet über alles / und mit diesem ist kein Gold / Silber / Ehre oder einig Ding zu vergleichen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 245-247.
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