51. Von der keuschen [256] Lucretia.

In Welschland haben Völcker gewohnet / von uhraltem Geschlecht / Rutuli genannt / welche vor Zeiten mit dem Turno wider den Æneam Krieg geführet. Die Rutuli haben eine Stadt innen gehabt mit Nahmen Ardeam, sehr reich von Gütern und köstlichen Gebäuden. Als nun damahls der hofärtige Tarquinius zu Rom regierete / und fast alle Güter der Bürger unnützlich durchgebracht / hat er einen Anschlag erdacht / und beschlossen man solte die Stadt Ardeam ausplündern / damit die Römischen Bürger und Unterthanen sich wieder bereichern möchten. Dieser Rath und Anschlag ist zwar angefangen / und ins Werck gerichtet worden / aber gantz nicht nach Wunsch ausgeschlagen. Darum hat man ferner beschlossen / die Stadt Ardeam zu belägern. Es trug sich aber[256] zu / daß in der Belagerung ein Bürger aus Collatia (ist eine Stadt nahe bey Rom) mit Nahmen Tarquinius Collatinus, mit des Königs Tarquinii Söhnen / und andern jungen Männern eine Gasterey hielt. Da seynd sie unter Essens von Weibern zu reden kommen / und hat ein jeder die seine hoch gerühmet / endlich auch darüber / welcher die beste hätte / gewettet. Collatinus hat gesagt / man dürffte nicht viel davon reden / sondern er wolte in drey oder vier Stunden darthun / und beweisen / wie viel seine Lucretia den andern allen fürgienge. Seynd auch eins worden / und diesen Zwiespalt zu schlichten / auf ihre Pferde gesessen / und nach Rom geritten: Da dann die meisten ihre Weiber ausserhalb Hauses in Gastereyen gefunden. Worauf sie auch alsbald gen Collatiam verreiset / und daselbst des Collatini Frau in ihrem eigenen Hause neben ihren Mägden bey Nacht-Zeiten am Spinnrocken / und in fleißiger Arbeit angetroffen. Also ist der Lucretiæ das Lob und der Preis geblieben. Collatinus hat Tarquinium und seine beyhabende Gesellschafft gebeten / das Nachtmahl mit ihm zu essen. Unterdessen ist der Sextus Tarquinius in ungebührliche Liebe gegen die Lucretiam gerathen / theils wegen ihrer Schönheit / theils wegen ihrer Aufrichtigkeit und Keuschheit. Letzlich haben sie sich sämtlich wieder ins Lager verfüget. Nach etlichen Tagen aber ist der Sextus Tarquinius in geheim nach Collatiam gereiset / daselbst von der Lucretia (die um sein böses Fürhaben nichts wuste) herrlich und ehrlich empfangen / und zu Abendzeiten von der Lucretiæ Diener an den Ort / da er schlaffen solte / gewiesen worden. Da sie nun alle schlieffen / ist Tarquinius zur Lucretia ans Bette gegangen / hat ihr / wer er wäre /kund gethan /[257] und gebeten / sie möchte ihm zu Willen seyn. Lucretia hat sich dessen / so viel ihr möglich /geweigert / und wie sie endlich um Hülffe ruffen wollen / hat Tarquinius ihr das blosse Rappier auf die Brust gesetzet / ihr gedrohet / würde sie nicht thun nach seinem Begehren / so wolte er sie ermorden /und zu ihr legen seinen Knecht / den er gleichfalls tödten wolte / auf daß alsdann die Leute meyneten /sie wären im Ehebruch umkommen. Mit diesen Worten hat er sie überredet / und nach verrichteter Sachen sich wieder fortgemachet. Die hochbetrübte Lucretia schicket alsbald Boten nach Rom zu ihrem Vater /und gen Ardeam nach ihrem Manne / bittend / sie möchten bald zu ihr kommen / denn es wäre ihr etwas grosses und merckliches widerfahren. Da der Vater samt dem Ehemann kommen / hat sie ihnen den gantzen Handel heulend und weinend erzehlet. Und nachdem sie ausgeredet / ein Messer / welches sie unter der Schürtze verborgen / herfür gezogen / und ihr also selbst das Hertz abgestochen / sagende: Ich bekenne /daß mein Gemüthe dieser That halber unschuldig ist /der Leib aber / weil er die Unehre und Schande gelitten / und einen Ehebruch begangen / soll auch diese Straffe leiden / auf daß keine Römische Frau sich mit meinem Exempel hernachmals entschuldigen könne. Als diese That unter dem Volcke ausgekommen / ist so wol der Vater Tarquinius Superbus, als auch der Sohn Sextus mit Weib und Kindern ins Elend vertrieben / und hernach zu Rom kein König mehr erwehlet worden / sondern die Bürgermeister haben eine lange Zeit regieret.


O wie findet man heute zu Tage so wenig Lucretias.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 256-258.
Lizenz:
Kategorien: