52. Der Poeten Freyheit im Lügen.

[258] Welche Freyheit die Poeten / und sonderlich die Griechischen in Dichten und Lügen gehabt / will ich euch für Augen stellen in Exempeln etlicher magerer Leute / derer in den Griechischen Epigrammatibus gedacht wird.

1. Der erste wird allda genannt Hermon: Ist so leicht und dabeneben so künstlich gewesen / daß er mit seinem gantzen Leibe hat springen können durch ein Nähennadel-Oehr / dadurch man den Faden zu ziehen pfleget.

2. Der ander Demas, gieng zum Spinn-Gewebe /das in der Lufft hieng / sprang nicht allein behende hinauf / sondern tantzete auch darauf gar künstlich /so lange biß die Spinne kam / und ihm einen Faden an den Halß spann / dadurch sie ihn in die Lufft zog / die Kehle zuschnürete / und also den guten Kerl Demas erhenckete und tödtete.

3. Der dritte Solipater, war so gar subtil / daß er weil er anders nichts / als Geist und Athem / war /von keinem Menschen gesehen werden konnte.

4. Nun folget einer / genannt Marculus, der so klein gewesen / daß er mit seinem Kopffe ein Sonnenstäublein durchlöchern und durchbohren / ja mit dem gantzen Leibe dadurch gehen können.

5. Cajus ist so leicht gewesen / daß er ihm bleyerne Sohlen unter die Schuhe machen zu lassen gezwungen worden. Dann er sonst vom Winde weggenommen /und wie Stoppeln zerstreuet ward.

6. Ferner der Archestratus war so leicht / daß / da er von den Feinden gefangen weggeführet / und auf eine Waage geleget ward / seine Schwere und Gewicht / ohngefehr als ein halb Gerstenkorn befunden worden.[259]

7. Menestratus pflegte auf einer Ameisen zu reiten / wie auf einem Pferde; Es trug sich aber zu / daß er von der Ameise abgeworffen / und von ihr mit einem Fuß zu todte geschlagen ward.

8. Proculus wolte einmal Feuer aufblasen / und flohe zugleich mit dem Rauch zum Schornstein oder zur Feuer-Mauer hinaus.

9. Artemidorus lag einmal bey dem Demetrio, welcher schlieff / und da Demetrius im Schlaff etwas starck Athem holete / warff er den Artemidorum mit dem Athem zum Fenster hinaus.

10. Cheræmon war so klein und leicht / daß er den Leuten nicht durffte zu nahe gehen / damit er nicht /wann sie Athem holeten / von ihnen mit der Lufft in die Nase gezogen würde.


Wer lügen will / der lüge also / daß man es mercken /fühlen und greiffen kan / daß es Lügen seyn / dann sonst betreugt man nur die Leute.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 258-260.
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