60. Ubung der Gedult.

[273] Die Bürger der Stadt Lacedæmon haben ihre Knaben von Kindheit auf mit Stecken und Ruthen pflegen zu schlagen / ob sie schon nichts verwircket / auf daß sie bey Zeiten lerneten starck / behertzt und gedultig zu seyn in Widerwärtigkeit. Der weise Socrates hat pflegen von einer Morgenröthe biß zu der andern Tag und Nacht gantz unbeweglich still zu stehen / die Füsse ungereget / mit unwandelbarem Gesichte / zu dem Ende / daß er durch Gedult lernete des Glückes Wanckelmüthigkeit tragen.

Die Gymnosophisten bey den Indianern haben nicht allein im Brauch gehabt / wie Socrates, von einem Anfang der Sonnen biß zum andern still zu stehen /[273] sondern auch auf einem Fusse in dem heissesten Sande zur Sommers-Zeit / und mit offenen Augen recht in die helle Sonne zu sehen / damit sie ihre Leiber zur Arbeit gewöhneten / und zugleich ihr Gemüthe in Betrachtung hoher Dinge übeten.


Die Gewohnheit ist die andere Natur: Darum muß man wol zusehen / was einer für eine Gewohnheit annimmt /dann das hänget ihm fest an.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 273-274.
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