61. [274] Ulyssis Gespräch mit der Auster.

Nachdem des Ulyssis Gesellen (davon in vorigen Satzungen Meldung geschehen) von der Circe in unvernünfftige Thiere verwandelt / und der Ulysses mit der Circe gute Freundschafft gemacht / sind sie auf einmal sich zu erquicken / spatzieren gegangen / in den grünen Wiesen / Höltzungen / an der Seekanten und andern lustigen Orten. Wie sie nun mancherley Discurse gehalten / hat Ulysess die Circe gebeten / sie möchte ihm ehe er von ihr scheide / die Gnade erzeigen / und ihm behülfflich seyn / damit er von den unvernünfftigen Thieren / die seine Gesellen und Gefehrten vormahls gewesen / eine mündliche Antwort erlangen könte / ob sie auch wiederum in ihr Vaterland zu reisen begehrten. Solches hat Circe dem Ulyssi zu thun und zu vergönnen verheissen / daß nemlich ein jegliches Thier / das zuvor Mensch gewesen / so lange wiederum seine Sprache und Vernunfft erlangen und gebrauchen solte / biß sie auf Ulyssis Fragen geantwortet. Auf diese Zusage und der Circe Wort ist Ulysses fortgangen / und hat sich auf einen grünen luftigen Hügel / nicht ferne vom Meer nidergesetzt /umhersehende ist er alsbald ansichtig worden eine Auster / mit ihren Schaalen an der Klippen hangend /welche er zu sich geruffen / sie angeredet und gefraget / ob sie nicht[274] wolte wieder ein Mensch werden / und mit in Griechenland ziehen / dann er könte ihr solche Gabe wohl mittheilen / weil es ihm von der Circe vergönnet. Die Auster hat Ulyssis Anbringen angehöret /und alsbald darauf geantwortet.

O mein lieber Ulysses, deine Beredsamkeit und Weißheit gebrauchest du anjetzo gegen mir nur vergebens und umsonst / meinen glückseligen Stand / darinne ich jetzt lebe / gedencke ich mit nichten zu verändern.

U. Ey Lieber / was bist du zuvor für ein Mensch gewesen / sage mirs doch? Die Auster antwortete: Sie wäre aus Griechenland bürtig / und für diesem ein Fischer gewesen.

U.

Hältest du dann diesen deinen Stand höher / als das menschliche Wesen?

Aust. Ja freylich halte ich ihn höher. Da ich ein Mensch war / und mich von Fischen ernehren muste /habe ich weder Tag noch Nacht geschlaffen / im Schnee und Regen / Kälte und Frost / muste ich mein Leben zubringen / und zwar nicht auf dem Lande /wie der Menschen Gewohnheit ist / sondern auf dem kalten Wasser / in grosser Gefahr des Lebens. O wie habe ich mich so offt matt und müde gearbeitet / und dennoch kaum ein Stücklein Brods erworben. Wie offt habe ich mit ledigen Netzen müssen zu Hause gehen / mit hungerigem Magen und knurrenden Bauch / auch kaum so viel Zeit und Raum gehabt /daß ich mich hätte können schlaffen legen. Nun aber hab ich von Natur überflüßig alles / dessen ich benöthiget / darf nicht arbeiten; dann meine Speise /davon ich lebe / fällt vom Himmel: Und ich bin auch mit zwo Schalen umgeben / das ist mein Hauß und festes Schloß / darum ich keine Wohnung für Geld miethen darff / diß[275] schließ ich auf und zu / wann mirs beliebet. Ja diß ist auch mein natürlich Kleid und Harnisch / mit welchem ich von Natur versehen bin: Dagegen werdet ihr Menschen nacket und bloß auf diese Welt gebohren / könnet weder gehen noch stehen /verstehet auch nicht / was gut oder böse ist. Von diesen allen hat mich die Natur befreyet / und mich mit einem glückseligern Stande begabet. Darum / lieber Ulysses, du magst hinziehen / wo du wilt / ich will hier bleiben / und mich wieder nach meiner Klippen verfügen. Damit hat die Auster den Ulyssem allein gelassen / welcher zum theil sich verwundert über diesen Discurs / zum theil auch zornig worden / daß er mit Schimpff bestanden war.


Ein gottloser / unruhiger / und um das Zeitliche und Vergängliche Tag und Nacht sich bekümmerender Mensch ist ärger / denn ein unvernünfftiges Thier.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 274-276.
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