62. [276] Ulyssis Gespräch mit dem Maulwurff.

Als Ulysses ein wenig fortgangen / hat er gesehen /ein kleines Hügelein aufgeworffener Erde vom Maulwurff / darinnen er auch gedachte / es würde einer von seinen Gesellen verborgen seyn / hat derwegen mit lauter Stimm dem Maulwurff geruffen und mit ihm zu reden angefangen.

Ulyss. Mein liebes Thier / mich deucht / du bist auch einer meiner Gefehrten und zuvor ein Mensch gewesen. Nun weil es in meiner Gewalt stehet / dich mit menschlicher Natur wieder zu begaben / so frage ich dich / ob du gesinnet / wieder nach deinem Vaterlande mit mir zu verreisen?

Maulwurff. Mein lieber Ulysses, davon habe ich mein Tage keinen Gedancken gehabt / dann so thäte ich ja thöricht.

[276] U. Ist dann das Thorheit / einen glückseligen Stand annehmen?

M. Gar nicht / sondern mich deucht / das sey Thorheit / wann man das Böse dem Guten fürziehet / ich halte es dafür / daß mein Stand viel glückseliger und ruhiger sey / als der Menschen.

U. Was sind die Ursachen / darum du deinen Stand glückseliger schätzest / als den menschlichen?

M. Das will ich dir kürtzlich sagen: Da ich ein Mensch war / da war ich ein Ackermann.

U. Ich mag sagen / ich bin wohl gesprungen / und habe einen guten Wechsel gethan / vom Fischer zum Ackermann.

M. Ulysses, rede nicht schimpfflich / höre vielmehr zu / was ich dir fürhalten werde / vielleicht wird dich auch gereuen / daß du nicht von der Circe in ein unvernünfftiges Thier seyst verwandelt.

U. Nun sage her / mich verlanget solches zu hören.

M. Du bekennest selber / Ulysses, daß die Erde mir / wie auch den andern Thieren die Speise gebe / und für uns zusähe / ob gleich der Acker für uns nicht gesäet wird. Dann wann ich essen will / so finde ich meinen Tisch bereit / in meinem verborgenen Pallast der Erden / da mich niemand verstöret / da die Würme mir besser schmecken / als euch die gebratenen Kapaunen. Ihr Menschen / wann ihr euch wolt von der Erde ernähren / so müst ihr durchs gantze Jahr das Erdreich bauen / und pflügen mit grossem Fleiß und Arbeit / welches ich erfahren habe / da ich ein Mensch gewesen.

U. O mein lieber Maulwurff / Acker pflügen /Bäume pflantzen / Wein schneiden / das ist nur eine Lust.[277]

M. Ja eitel Mühe und Arbeit / voller Beschwerlichkeit. O wie offt habe ich mich gefürchtet für dem Regen und Ungewitter! Wie offt habe ich nur Stroh für Korn bekommen? Jetzt bedarff ich solches nicht mehr / habe weder Pflug noch Ochsen / noch was mehr darzu gehörig / vonnöthen. Darff auch dem Gesinde kein Essen noch Trincken geben / oder selbiges um groß Geld zur Arbeit miethen. Jetzund kan ich mit meinen blossen Händen die Erde umpflügen ohne einige Arbeit / und lustige Schlösser darein bauen.

U. Aber / lieber Maulwurff / weist du nicht / daß du des allerherrlichsten Zierraths beraubet bist / nemlich des Gesichts / bist derohalben nicht vollkommen; Dann du wandelst im finstern / kanst auch der Welt Schönheit nicht sehen.

M. O deßhalben bin ich nicht unvollkommen / ich achte das Gesichte nicht: Dann ausgenommen das hab ich alles / was mir von Natur nützlich / was bedarff ich der Augen in der dicken finstern Erde / darinnen ich wohne? die Würme / die ich esse / kommen von sich selber zu mir / ich kan sie auch im finstern finden.

U. Aber sage mir / Maulwurff / woltest du dannoch nicht gerne sehen?

M. Warum das? Solches ist meiner Natur nicht gemäß / es ist genug / daß ich in den andern allen vollkommen bin / ausgenommen das Gesichte. Sage mir wieder Ulysses, woltest du wol begehren der Sonnen-Klarheit / oder die Flügel der Vögel?

U. Dessen bedarff ich nicht: Dann die Menschen haben von Natur keine Flügel / wann sie aber Flügel hätten / so begehrte ich solche auch.

M. Du redest recht: Wann andere Maulwürffe[278] sehen könten / so wolte ich es auch wünschen. Nun aber seynd wir vollkommen ohne das Gesichte / ebener massen als ihr Menschen vollkommen seyd ohne Flügel / ob ihr schon nicht fliegen könnet wie der Adler / habt auch nicht des Pfauen Federn. Auf diese Art seynd wir Maulwürffe vollkommen / ohne das Gesicht / das uns so viel nützet / als euch der Pfauen-Schwantz / begehrens auch nicht. Darum / lieber Ulysses, bemühe dich nur nicht / daß du mich wieder zum menschlichen Stande bringest / dann ich bin vollkommen. Und weil ich keine vernünfftige Gedancken habe / so bekümmere ich mich auch nicht auf der Welt zu leben / darum gehe nur hin und thue / was du zu thun hast / ich will wieder in die Erde kriechen.


Wie es die Natur schicket und richtet / also soll man auch zufrieden seyn: Was derselben zuwider läufft / soll man nicht wünschen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 276-279.
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