64. [282] Ulyssis Gespräch mit der Nachtigal.

Also bekam Ulysses eine unverhoffte Antwort von der Hindin. Ist darauf tieffer in den Wald spatzieret / und hat allda der Vögel anmuthiges und liebliches Singen mit Lust angehöret. Unter allen Vögeln aber ist von ihr selber zu ihm geflogen kommen eine Nachtigal: Daher Ulysses gemercket / daß sie auch von seinen Gesellen wäre / hat darum eben also mit ihr geredet /wie er zuvor mit der Hindin und andern Thieren gethan: Die Nachtigal war bereit und fertig zu antworten / wünschte ihm Glück zu seiner Reise / sagende: Ihr gelüste nicht menschliche Gestalt wieder anzunehmen / viel weniger mit ihm zu reisen / ob sie wol zuvor sein Diener und Musicant gewesen.

U. Meine liebe Nachtigal / was ist dir doch für Ubels begegnet und widerfahren / daß du mich verlässest / und lieber begehrest ein krafftloß unvernünfftiges[282] Vögelein zu seyn / als ein Mensch der ein Herr ist aller Thiere?

N. Ich habe zwar der Sänger- und Musicanten-Orden noch nicht verlassen / sondern bin jetzt eben so wohl ein Musicant / als da ich ein Mensch war / aber mein jetziger Stand ist so glückselig / daß ich durchaus nicht begehre oder wünsche ein Mensch zu seyn. So du die Ursache wissen wilt / will ich dir die nicht verhelen. Wann du und deine Mitgesellen euch wohl tractirt / und vollgesoffen / muste ich hinter dem Tische stehen / aufwarten / und vom Morgen biß zum Abend / und vom Abend biß wieder zum Morgen singen / und ihr achtet mich gantz geringe. Eure Thaten rühmet ihr hoch / redet von Huren und Vollsauffen /von Rauben / Plündern und Morden. Kam irgendwo ein grober Tölpel oder Schäfer-Knecht mit seiner Sack-Pfeiffen / der ward vorangezogen / in Ehren gehalten / mit Verehrungen und gutem Trinckgeld begabet /ich aber muste alsdann innen halten / und hintenanstehen; O wie bin ich so offt hungerig und durstig / mit leerem Beutel nach Hause gangen! Jetzund habe ich besser Glück. Nun singe ich nicht gezwungen / sondern aus freyem Willen / nach meinem Wohlgefallen /ohne einige Sorge / vom Abend biß an den Morgen /den gantzen Tag durch / Menschen und Vieh hören mir gern und fleißig zu / und haben meinen Gesang lieb / werth und wohl in acht. Niemand mißgönnet mir diese Ruhe / jederman giebt mir den Ruhm und Preiß für allen Vögeln. Warlich die Berge und Hügel / die Höltzungen und Bäume / ja auch die Echo selber / wissen mir Danck und loben mich / Spinnen / Fliegen / und andere Würme kommen ungeheissen zu mir geflogen / und kriechen mir für den[283] Mund / zu Unterhaltung meines Lebens / seynd mir auch gesünder /als euch viel Gesottens und Gebratenes.

U. Liebe Nachtigal / rühme nicht zu sehr / gedenckest du nicht / daß die Raub-Vögel dir alle Stunden nachstellen / und offt dich bey dem Halse zu sich in die Höhe ziehen von der Erden / und einen guten Bissen aus dir machen.

N. Ho! für denselben kan ich mich wol hüten /dann ich singe nicht / wann die Bäume noch dürre /und die Zweige mit keinen Blättern bekleidet seyn (dann alsdann könte mich der Habicht bald hinrücken /) sondern mein Aufenthalt ist den Höltzungen / die blühen und grünen / da alles mit Blättern bedecket ist / darinnen verberge ich mich. Des Winters fliege ich an andere Oerter: Aber lieber Ulysses, für deiner und deiner Mitgesellen Hände könte ich nimmer sicher seyn. Wie offt hast du mich abgeprügelt? und mich /so zu sagen / mit Schlägen und Backenstreichen gesättiget / wann ich gnug mit meiner Stimme und Music aufgewartet? GOtt wende es ja ab / daß ich nicht gezwungen werde / mich mehr unter solche Gesellschafft zu begeben / ich wolte lieber sterben / als ein solches Leben führen. Diß gesagt / ist die Nachtigal davon geflogen / und hat ihren lieblichen Gesang angefangen / daß der gantze Wald erklungen.


Zu Hofe giebt es zwar harte und schwere Dienste /aber wenig Lohn. Die Nachtigal ist ein Ausbund aller Vögel.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 282-284.
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