65. [284] Ulyssis Gespräch mit der Schlangen.

Dieser der Nachtigal Discurs hat dem Ulyssi nicht wohlgefallen / dann er dadurch ziemlich[284] hart und scharff angegriffen war: Derhalben er sich nicht lange bedacht / sondern fortgegangen; Wie er etwa zwey oder drey Schritt gethan / ist ihm vor den Füssen eine Schlange gekrochen / die ihn schier mit ihrem Stachel verwundet. Er hat aber alsbald gedacht / die Schlange würde auch eine seiner Mitgesellen seyn. Darum also mit ihr angefangen zu reden: O du unglückseligstes Thier / mich jammert deiner / weil ich sehe / daß du unter allen Thieren das verachteste bist wegen deines Vergiffts / und weil du auf dem Bauche kriechen must. So es dir nun beliebet / will ich dir behülfflich seyn / und aus dir das alleredelste Thier machen / das unter der Sonnen lebet / darum bitte ich dich / du wollest sagen: Ob du nicht lieber wollest ein Mensch seyn / als ein so greulicher Wurm?

S. Nein / warlich Ulysses, und so veracht ich auch von dir mag angesehen seyn / so viel weniger gedencke ich doch mit dir zu tauschen / ob ich wol zuvor dein Artzt gewesen / dir deine Wunden verbunden /und dir in allen Kranckheiten aufgewartet. O zu solchen Dingen habe ich jetzt gantz keine Lust.

U. Ey welche eine thörichte Rede! Ists nicht eine grosse Wollust / die Eigenschafften der natürlichen Dinge zu erkennen? der alten Weisen Bücher zu lesen? Das Gemüth mit Wissenschafft zu zieren und belustigen? Aller Kräuter / Metallen und Thieren Eigenschafft und Kräffte zu erkennen und zu wissen /und wohl gebrauchen können? Des Himmels und der Sternen Lauff verstehen? (mit welchen allen die Medici begabet:) Daher die Menschen dich gleich einen Gott halten und ehren / weil sie deiner nicht entbehren können. Ja man giebt dir / was du nur begehrest. Man[285] offenbahret dir alle Geheimnisse. Ist das nicht eine grosse Glückseligkeit?

S. Ja Ulysses, / wann dem allen so wäre / wie du redest: Wann ichs aber recht behertzige / so sinds nur blosse Worte. Ich will dir nichts verhelen / sondern frey heraus bekennen / wenn ich schon alle Bücher auswendig lernete / und die gantze Welt durchreisete /so könte ich dennoch so viel nicht lernen oder verstehen aus dem rechten Grunde / wie ein Wurm aus der Erden würde? wie die Läuse und Flöhe an den Menschen und unvernünfftigen Thieren wachsen oder gezeuget werden? Wie dieselbe leben / und dannoch keine Lebens-Gliedmassen haben? Ich weiß zwar die äusserliche Gestalt der natürlichen Dinge / und habe mich auch darinnen geübet / aber das inwendige habe ich nicht gewust. Es gieng mir wie dem Fuchs / der das Glaß von aussen zwar lecket / aber den Brey / so darinnen / nicht anrührte. Nun was sagest du von Büchern und Schrifften? Seynd nicht die allerbesten Medicamenta der Alten mehrentheils untüchtig: Ist auch ein einiges Kraut / daß das thun könte / was man von ihm schreibet und saget? Haben auch die Kräuter und Blumen die Macht / die ihnen wird zugeeignet? Schaden thun sie wol / aber wenig Vortheil. Wo wird ein Artzt gefunden / der mit seiner Weißheit es dahin bringen könte / wann auch dem gantzen Römischen Reich daran gelegen / daß er nur könte ein neues Härlein machen / da zuvor keines gewesen? Worte seynds nur / was man fürgiebt: In der That ists eitel falsch und nichtig. O wie viel sind Aertzte / die selber kranck seyn! Ja derer Weiber / Kinder / Söhne und Töchter / Schwester und Brüder zugleich sterben. Wie viel Könige sind von[286] den Läusen gefressen worden /und niemand hat ihnen helffen können? Wo ist doch wohl ein Artzt / der dem Hunde die Flöhe könte benehmen / also / daß sie ihm nicht wieder wüchsen? Wie wolten sie dann dem Leben und dem menschlichen Leibe helffen? oder gegen die unsichtbaren Feinde / als da sind Wassersucht / viertägliche Fieber /Schlag / etc. Ob schon der Artzt gantze Säcke voll Kräuter gebrauchet / sie seynd warm oder kalt / trocken oder feucht / wanns die Natur selbst nicht thäte /so würde er warlich mit Schimpff bestehen. Es ist nur eitel Tand und blosses Einbilden / welches der Men schen Hertze hat eingenommen. Der Artzt hält alle seine Sachen hoch / dann er hats nicht besser gelernet; Der Krancke und dessen Freunde glauben demselben /und haltens mit ihm / dann ers wohl kan mit Worten ausstreichen. Wann ohngefehr das Glück dem Patienten hilfft / das wird dem Artzt zugeschrieben / der wird unterdessen gelobet / da er doch nichts weniger gethan / als dem Krancken geholffen. Æsculapius und Podalirius seynd so erfahrne Medici gewesen / daß sie kaum ihres gleichen gehabt / dannoch haben sie nicht können so viel zu wege bringen / daß sie das sechzigste Jahr erreichet. Und ob sie schon tausend Jahr wären alt worden / hätten sie dannoch keine Kunst erfahren / durch welche sie ihr Leben hätten können dermassen stärcken / daß sie alle Kräffte /sehen / hören / vernehmen / gehen / ungeschwächt behalten / daß ihnen der Rücken nicht krumm worden /und der Tod sich nicht zu ihnen genahet. So offt ich auf solche Gedancken kam / mein Ulysses, ward mein Hertz und Gemüthe traurig. Jetzo bin ich von dem allen befreyet. Jetzo ist mir die gröste Ergetzlichkeit /daß ich auf Blumen und Kräutern gehe / und daraus den süssen Safft[287] ziehe / welcher in Blut und Gifft verwandelt / mir dienet wider meine Feinde. Zu Winterszeiten wohne ich in der Erden / und schlaffe sicher /biß an den gewünschten und frölichen Sommer / darnach werde ich wieder wacker / und wiederum gleich sam gantz neu gebohren / (wie der Pelias durch Hülffe der Medeæ,) nachdem ich meine alte Haut abgeworffen / und neue Krafft und Leben bekommen. Darum sage ich billich den Göttern Danck / und der Circe, daß sie mir hierzu behülfflich gewesen. Und so du klug bist / Ulysses, so siehe zu / daß du von der Circe eben dasselbe erlangest.


Eine Schlange ist ein verfluchtes Thier. Es ist ein edles Ding / aus dem Grunde etwas verstehen lernen. Das meiste in der Natur ist dem Menschen noch verborgen. Der Aertzte Thun und Wesen hat alles nur einen blossen Schein / in der Warheit hat es nicht Bestand.


Es wächst kein Kraut im Garten /

Das widern Tod mag arten.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 284-288.
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