84. [320] Claudiæ Quintæ, einer Nonnen /Wunder-That.

Nachdem die Römer in den Sibyllischen Büchern und Versen gelesen / daß / wofern ihre Stadt floriren solte / sie die Mutter aller Götter suchen / und dahin bringen müsten: Als seynd sie nach Rath des Weissager-Gottes zu Delphos in Asiam gezogen / und haben endlich das geschnitzte Bild der grossen Götter-Mutter beym König Attalo gefunden und erlanget / solches in ein grosses Schiff gebracht / und nach Rom geführet: So bald das Schiff auf den Fluß der Tyber kommen / welcher in die Stadt fleuss ist es still gestanden / und hat von keinem Menschen durch einige Macht von der Stelle fortgebracht werden[320] können. Eben zur selbigen Zeit war eine Vestalische Jungfrau oder Nonne / mit Nahmen Claudia Quintia, ein überaus schönes und freundliches Weibs-Bild / berüchtiget / als hätte sie Unzucht getrieben / und wider ihres Ordens Gesetze ihre Jungfrauschafft verlohren. Auf daß sie nun ihre Unschuld ans Licht brachte / und offenbahr machte / ist sie getreten ans Schiff / und hat das Götzen-Bild / die Götter-Mutter / mit diesen Worten angeredet: Man beschuldiget mich / O Göttin! der Unzucht: Dich bitte ich / du wollest urtheilen / ob solches wahr sey oder nicht. Wirstu mich schuldig er kennen / so sterbe ich billich und gerne; findestu aber / daß ich diß Laster nicht begangen / sondern rein und unbefleckt bin / so wollestu / O reine Mutter Gottes! mir deine Hülffe erzeigen. Wie sie diß Gebet gesprochen / ergriff sie mit einer Hand den Strick / daran das Schiff fest gemacht / gehet fort / da folget ihr das Schiff gutwillig nach biß mitten in die Stadt: Allda der Scipio Nasica allein würdig gehalten / diß Götzenbild in die Hände zu nehmen / und an seinen Ort zu bringen.


Daß diese Vestalis eben so wol als der vorige Augur, der Zauberey sey zugethan und wohlerfahren gewesen /daran ist kein Zweiffel.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 320-321.
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