91. Auf was Art und Weise die Alten ihre Schiffahrt angestellet.

[333] Viel Sachen und Künste / die wir heut zu Tage besitzen / seynd bey den Alten wol bekannt / und in Brauch gewesen / aber nicht so vollkommen als jetzund. Dann von Tage zu Tage wird den Sachen mehr nachgedacht / und ist nichts im Anfange so vollkommen / als es hernacher durch fleißige Ubung und Verbesserung wird. Ein Exempel haben wir an der Schiff-Fahrt: Warlich die Griechen / Römer und andere Nationen für tausend Jahren seynd so hoch nicht gestiegen / in der Schiff-Fahrt / als unsere Leute heut zu Tage. Erstlich haben sie fast keine Schiffe gebrauchet / als mit Rudern / und seynd allezeit nicht weit von dem[333] Gestade des Meeres gefahren / und niemahlen weit vom Lande auf die hohe See gegangen. Wann sie aber durch Ungewitter seynd hinauf getrieben / und das Land aus dem Gesicht verlohren / haben sie kein ander Mittel gehabt / als nach dem Gestirn zu sehen /und auf derer Lauff Achtung zu geben / als da seynd der Nordstern / der kleine und grosse Bär / Cynofura und Helice genannt / (dahero die Phrasis, ad Cynofuram dirigere) der Abendstern / Zwilling / der Mond /etc. Beym Horatio in den Gesängen seynd hievon gute Gezeugnisse zu finden: Sic te Diva potens Cypri, (ist der Abendstern) Sic fratres Helenæ lucida sydera, (sind die Zwillinge.) Ventorumque regat Pater. Und am andern Ort: Simulatra nubes condidit Lunam: Neque certa fulgent sydera nautis. Offtmal geschah es / daß der Himmel mit Wolcken überzogen / den Schiff-Leuten keine Sterne zeigete / da segelten sie in der Irre nach ihrem Gutdüncken nicht ohne Leibs-Gefahr: Wol ist zu mercken / was Plinius schreibet von den Inwohnern der Insul Taprobana und Sumatra, gerade unter der Mittel-Linie gelegen /gleich fern vom Norden oder Süden / daß weil dieselbe nimmer sehen können den Nordstern / darnach sie ihres Schiffes Lauff richten / so nehmen sie etlich Vögel mit sich ins Schiff / von welchen sie bißweilen einen fliegen lassen / dem folgen sie immer nach /weil der Vogel aus innerlicher Regierung der Natur immerdar nach dem Lande fleuget / so am nähesten lieget. Diese Art zu segeln ist so lange im Gebrauch geblieben / biß ungefehr für 300. Jahren der See-Compaß endlich bekannt worden / und dessen Gebrauch ans Licht gebracht / davon die Alten nichts gewust: mit dem See-Compaß ist es also beschaffen daß[334] die stählerne Nadel / so darinn mit dem Magnet-Stein bestrichen / allezeit sich nach dem Norden wendet /und wo derselbe ist / anzeiget / es sey bey Tag oder bey Nacht / bey klarem oder duncklem Wetter. Ja nicht allein den Norden / sondern alle 32. Winde oder Ecken der Erden. Durch diß Mittel kan ein Schiffer sich kühnlich auf die grosse See begeben / und in seiner Kabuse sitzend wissen / auf was Tüttel der See sein Schiff stehe oder segele. Zwar die Alten haben wol gewust / daß der Magnet das Eisen an sich ziehe /aber daß er sich nach dem Norden und Süden wende /das ist ihnen gantz unbekannt gewesen / und ist davon kein Wort bey einigen alten Scribenten zufinden / allhie mag man wol gebrauchen den Vers des Ovidii:


– – Non omnia grandior ætas

Nos quæ scimus habet, seris venit usus ab annis.


Heute siehet und lernet man / was man gestern nicht gewust hat.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 333-335.
Lizenz:
Kategorien: