26. Neuerfundene Brillen / in die Nähe zu sehen.

[399] Nicht ohne Ursache hat Horatius gesungen:


So groß und schwer war nie kein Ding /

Daß sich der Mensch nicht unterfieng.


Was Menschen Witz und Hände zu unsern Zeiten erfunden haben / wie anderswo angezeiget. Allhier will ich nur von derselben Art Brillen oder Guckers wenig berühren / welche die kleineste Dinge so seyn mögen /nahe für unsern Augen gestellet / dermassen vergrössern (ihre Gestalt und Farben gantz ungeändert) daß man sich über GOttes Allmacht und Geschöpff nicht gnugsam verwundern kan. Anderswo haben wir gedacht des Guckers von ferne / durch welcher Hülffe man im Himmel viel Wunderdinge erfahren. Diese /davon wir jetzund reden / seyend eben so kunstreich /aus England uns erstlich zugebracht / und allda vom trefflichen Meister Cornel. Drebbel verfertiget: Dadurch man nichts als was gantz klein und nahe beyuns ist / sehen kan. Durch diese Instrument befinden wir /und schauen augenscheinlich / daß eine Milbe (Made) aus dem Käse / (vergrössert wie eine Erpse) nicht allein ihre Füsse / Schnabel / und Augenbraunen habe /sondern auch Athem hole / und den Bauch einziehe und ausdehne. Ein Floh ist gestalt wie ein Cameel /mit langen härichten Beinen: Hat Augen und ein Schnabel wie ein Elephant. Eine Laus scheinet das heßlichste und greulichste Thier / so seyn mag / voller Schuppen auf dem Rücken / wie ein[399] Crocodil oder Nashorn (Rhinoceros.) Diese Wunder aber übertrifft die Lilien-Blume: In welcher die gelben Flittern an kleinen Zacken oder Hacken hängend / so unaussprechlich / künstlich und wunderbar formiret seynd /daß es keines Menschen Zunge ausreden oder einige Feder beschreiben kan. Nicht ohne Ursach hat der HErr Christus die Lilien auf dem Felde des Salomonis Kleidern und köstlichen Gewand weit fürgezogen: Dann aller Zierrath von Menschen Händen gemacht ist gegen diese gelbe Fädlein der Lilien / und gegen die andern weissen Blätter / eben so künstlich als ein grober Bäurischer Stroh-Hut gegen ein klein subtiles Uhrwerck.


Die Künste steigen hoch.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 399-400.
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