4. Ob das Ey ehe gewesen oder die Henne?

[358] Plutarchus in seinen Tisch-Reden giebt eine Frage auf / nemlich: Ob das Ey älter sey / und für der Hennen gewesen / oder ob die Henne älter und für dem Ey? Als wolt er sprechen: Ist ein Ey / das muß von einer[358] Hennen gelegt seyn / derhalben gehet die Henne vor: Hingegen eine Henne / die muß aus dem Ey gebrütet seyn / darum gehet das Ey vor. Diese Frage scheinet lächerlich und unnöthig zu seyn / wann man sie bloß hin ansiehet: Aber sie hat viel in sich / nemlich den schweren Streit von der Welt-Ewigkeit und Unendlichkeit. Aristoteles und die meisten Heyden seynd der Meynung gewesen / als wäre die Welt von Ewigkeit gewesen / ohne Anfang / würde auch kein Ende oder Untergang gewinnen. Solches lässet sich mit obgegebener Frage vom Ey und der Hennen scheinbarlich behaupten. Dann man setze was man will / entweder das Ey sey älter oder die Henne / so hat ein jegliches eines vorhergehen / daraus es entsprossen und gebohren ist / und solches immer fort und fort / unendlich ohne Aufhören / in alle Ewigkeit. Dann nach Aristotelis Philosophie kan nichts aus nichts gebohren werden / sondern muß alles seinen Ursprung aus einem andern wesendlichen Dinge haben. Gehet derhalben die Fortbringung des Eyes und der Hennen biß in alle Ewigkeit hinaus.

Wir aber seynd aus GOttes Wort / oder der Heil. Schrifft besser unterrichtet / daraus wir lernen / daß am Anfange / so wol die Henne / als andere Vögel /Thiere und Creaturen von GOtt aus nichts geschaffen seynd / übernatürlich / und mit nichten aus Eyern oder andern Saamen / daraus sie natürlicher Weise wie jetzund nach der Erschaffung / fortgebracht werden. Ist derhalben die Henne erste gewesen / die hernacher Eyer und Jungen ausgebrütet / nach GOttes Ordnung die Natur gepflantzet. So wissen wir auch / daß die Welt nicht von Ewigkeit her[359] gewesen / sondern in der Zeit von GOtt geschaffen: Werde auch nicht in Ewigkeit bleiben / sondern zu seiner Zeit / wanns GOtt gefällt / untergehen.


Der natürliche Mensch vernimmt nicht / was des Geistes GOttes ist. Durch den Glauben mercken wir / daß alles / was man siehet / aus nichts worden ist.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 358-360.
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