5. Vom [360] Pyramo und Thisbe.

Ovidius in seinem Verwandlungs-Buche erzehlet eine schöne / doch klägliche Historie / von zweyen liebhabenden Personen / nemlich einem Jüngling / Pyramus genennet- und einer Jungfrau Thisbe: Derer Eltern in der Stadt Babylon gewohnet / und Nachbarn gewesen. Die Liebe unter diesen beyden ist anfänglich entsprossen aus der nachbarlichen Gesellschafft / und hernachmals also gewachsen / daß es ihrer beyder Leben gekostet. Die Eltern hielten diese ihrer Kinder beyderseits streng und hart / daher sie selten konten zusammen kommen / noch eines dem andern sein Hertz offenbahren. Die Liebhabenden aber mercketen in der Scheidewand zwischen ihrer beyder Losament einen Ritz oder Löchlein / durch welches sie endlich mit einander Sprache hielten / und unter sich beschlossen / die nechstfolgende Nacht heimlich / unwissend ihrer Eltern / auszugehen / sich zusammen zu finden / und ausserhalb der Stadt / an den Ort / da des mächtigen Königs Nini Begräbniß war / unter einem Maulbeer-Baum zu besprechen. Verrichteten auch solchen ihren Anschlag mit Fleiß. Die Thisbe kömmet erstlich dahin / aber unterwegens wird sie ohngefehr einer grausamen Löwin gewahr / welche von ihrem Raub kam mit blutigem Maule. / Zweiffels ohne aus dem nechsten Brunnen zu trincken: So bald Thisbe die Löwin kommen[360] siehet / fleucht sie / und verbirget sich / lässet aber im Lauffen ihren weissen Schleyer fallen / und hinter sich liegen. Die Löwin fasset den Schleyer ins Maul / besudelt ihn wol mit Blut / verlasset ihn doch endlich / und gehet ihres Weges. Bald hierauf kommt auch der Pyramus an denselben Ort /und nachdem er bey hellem Mondschein (dann dieses bey nächtlicher Weile geschehen /) der Löwin Fußstapffen im Sande gespühret / erschrickt er über die Massen / gehet doch fort / da findet er seiner Liebsten Thisben Schleyer mit Blut bespritzet / vermeynet derhalben nicht anders / dann daß sie von den wilden Thieren gefressen: Fähet ein jämmerlich Geschrey und Klagen an / und nach vielen vergossenen Thränen zeucht er sein Schwerdt aus / setzt das Gefäß an die Erde / die Spitze an die Brust / und stürtzet sich selber darein; Fällt also darnieder. Wie das geschehen /und der Thisbe die Furcht nunmehr vergangen /kommt sie wieder herfür / verfüget sich nach bestimmten Maulbeerbaum: Aber leyder! da findet sie ihren lieben Pyramum in seinem eigenen Blut wältzen / und nun fast Tods verblichen. Was ihr allda für Hertzeleid entstanden / ist leichtlich zu ermessen: Sie muthmassete aber wol daß ihr blutige Schleyer / und ihre Flucht dieses Unglücks Ursache gewesen. Derohalben nachdem sie schmertzlich geweinet / ihr Unglück mit tausend Seufftzen und Thränen beklaget /und nunmehr denselben für sich todt sahe / den sie mehr liebete als ihr eigenes Leben / hat sie auch nicht länger zu leben begehret / sondern zeucht dem Pyramo das Schwerdt aus dem Leibe / verflucht den Maulbeerbaum / beweinet ihrer beyder elende Eltern / und wünschet / daß der Baum nimmermehr weisse[361] Früchte trage / (wie er denn pflegete zu thun,) sondern allezeit schwartze / zum Zeichen dieses Leydes und der Traurigkeit. Bittet auch ferner / und wünschet von ihren Eltern / daß nach ihrer beyder Ableben / die Cörper in ein Grab zusammen geleget / und ob wol nicht im Leben / dannoch im Tode vereiniget werden möchten. Darauf sie dann alsbald auch ins Schwerdt gefallen /und Todes verblichen. Die Götter haben ihre Bitte erhöret / dann der Maulbeer-Baum nach der Zeit immer schwartze Beeren getragen: Und haben die Eltern dieser beyder Liebhabenden Cörper nach Gewohnheit verbrannt / und die Asche in ein Fäßlein zu Hauffe geschüttet / und also beygesetzet.


Also gehets / und ein solch Ende gewinnet die thörichte / unbedachte und unziemliche Liebe / wann Kinder wider ihrer Eltern Wissen und Willen / wider Zucht und Erbarkeit heimlich sich zusammen thun. Darauf folget nichts gewissers / als Schande und Unehre / Unglück und endlich auch ein schmählicher Tod.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 360-362.
Lizenz:
Kategorien: