40. Menschen haben etliche Jahr ohne Essen gelebet.

[423] Der weise und weitberühmte Artzt Hippocrates schreibet / daß ein Mensch nicht könne über sieben Tage hungern und lebendig bleiben. Solches ist zu verstehen von frischen und gesunden Leuten / die guten Appetit zu essen haben. Unterdessen aber / daß unterschiedliche Menschen gewesen / so nicht ein /sondern[423] viel Jahr sich des Essens und Trinckens gantz enthalten / und im geringsten nichts genossen / zwar nicht übernatürlicher Weise / wie in der Heil. Schrifft zu finden / auch nicht mit Teuffelskünsten / sondern aus Schmachheit und Untüchtigkeit der Natur / solches bezeugen die Historien / und die tägliche Erfahrung. Für dißmal wil ich mit wenig Exempeln zu frieden seyn.

Fulgosus ein berühmter und glaubwürdiger Mann /schreibet / daß im Jahr Christi 1460. Im Schweitzerland einer gewesen / mit Nahmen Niclaus / welcher /nachdem er mit seiner Frauen 5. Kinder gezeuget / ein einsames Leben auf einem Dorffe geführet / und 15. gantzer Jahr ohne alles Essen und Trincken gelebet. Solches / ob sichs also verhielte / zu erfahren / sey der Bischoff von Cotznitz / in dessen Gebiete er gewohnet / selber in Person nach dem Niclaus gereiset / und nicht allein alles warhafftig befunden / sondern auch mit seiner Hand alle Umstände beschrieben und aufgezeichnet: Und / auf daß er sehe / wie es ihm bekäme / wann er essen würde / hat er ihm bey hoher Straffe aufgeleget / etwas wenigs von Speise zu sich zu nehmen. Niclaus hats thun müssen: Ist aber davon so kranck worden / daß er 3. Tage zu Bette gelegen / und unerträgliches Hauptwehe gefühlet. Diese Sache ist nicht allein vom Bischoff unzweiffentlich / sondern auch von unzehlich viel Teutschen / Frantzosen / Italiänern / etc. die / daß Wunder zu sehen / hingereiset /ohne Betrug befunden worden. Er selber Fulgosus bezeuget / daß er mit vielen geredet habe / die bey diesem Manne gewesen / und es warhafftig also erfahren.

Nicht allein aber hat man bey Männern / sondern auch bey Weibs-Personen dergleichen Exempel: Im Jahr[424] 1539. ist bey Speyer ein Mägdlein gewesen /ohngefehr von 10. Jahren / Margaretha Weiß genannt / welches anfänglich nach ausgestandenem langwierigem Haupt- und Bauchwehe einen solchen Eckel für der Speise bekommen / daß es wenig Monat darnach /sich gantz und gar der Speise / folgends auch des Trancks entäussert / und also eine lange und geraume Zeit gelebet. Der Römische König Ferdinandus hat seine Leib-Medicos zu ihr gesand / und alles aufs genauste erfahren lassen; Welche dann nichts anders befunden / als daß dieses Weibsbild ohne Speise und Tranck warhafftig ihr Leben hinbrächte.


Die Ursache dieses ist den Gelehrten aus der Natur bekannt / und nicht für ein Wunderwerck und Betrug zu halten.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 423-425.
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