57. Wie die alten Römer ihre neugebohrne Kindlein weggeworffen.

[449] Es ist bey den Alten hin und wieder ein Gebrauch gewesen / daß man hat pflegen die junggebohrne Kinder / nach welchen man nicht groß gefraget / und derer man gern entrathen wolte / in eine Wildniß fern von den Leuten hinweg zu tragen / und unter die wilden Thiere aufm Felde / oder in den Höltzungen und Gehägen liegen zu lassen: Welche aber meistens allda gestorben / unterweilen aber durch wunderbahre Schickung GOttes beym Leben erhalten / und von wilden Thieren oder Menschen ernehret und erhalten worden. Solcher Verwerffung und Abschaffung der kleinen Kinder finde ich folgende Ursachen. Erstlich haben sich die Eltern etlicher ihrer Kinder entlediget aus Armuth / weil sie nicht des Vermögens gewesen /so viel Kinder zu ernehren: Darum sie die Besten und Liebsten / (insonderheit die Söhne) behalten[449] halten /und die übrigen / so bald sie nur zur Welt kommen /(bevorab aber die Töchter) hinweg tragen lassen. Diesem fürzukommen / haben die zu Thebis ein Gesetz geordnet / daß niemand einiges Kind aus Armuth wegwerffe / sondern wann ers nicht ernehren könte /der Obrigkeit brächte / die des Kindes eigenen Eltern alle Nothdurfft verschaffet / und wann das Kind auferzogen / muste es zur Erstattung dieser Wolthat für Leibeigen / Knecht oder Magd sein Lebenlang dienen. Die andere Ursach ist gewesen Vermeidung der Schande: Nemlich / wann ein Weibsbild mit heimlicher Unzucht sich beflecket und geschleppet / und dadurch Kinder bekommen / damit sie ihrer Leichtfertigkeit halben nicht gestraffet oder verachtet würde / hat sie die Kinder lassen heimlich wegtragen / und anderswo hinlegen. Also / nachdem die Ilia oder Rhea, eine Kloster-Jungfrau / eines Lateinischen Königs Tochter / vom Soldaten (der sich Mars nennete) beschlaffen / und zween Söhne / Romulus und Remus, zur Welt getragen / hat sie diese ihre Hurenkinder an den Fluß Tyber getragen / da niedergeworffen / und davon gegangen / als wüste sie nirgends von: Welche zween Knaben von eines Hirten Weibe / (so auch eine Hure oder Lupa gewesen /) seynd auferzogen. Die dritte Ursache ist Neid und Haß dieser Eltern / welche das Kind gerne sehen aus dem Wege geräumet / damit es hernach ihnen keinen Schaden zufüge. Also hat Cambyses seiner Tochter Sohn / Cyrum, wegwerffen lassen / damit er nicht dermaleins von ihm aus dem Reiche verstossen würde. Also ward Moses in ein Kästlein geleget / und in den Fluß Nilum geworffen /aus Neid Pharaonis gegen die Israeliten: Welche[450] demnach alle beyde / so wol Cyrus / als Moses durch Gottes Hand erhalten / und zu grossen Leuten worden.


Diese Gewohnheit oder That ist so grausam / daß auch die wilden Thiere einen Abscheu darob tragen / die sich der kleinen Kinder offt annehmen / als ihre eigene Mutter. (2.) Wen GOtt erhalten will / der bleibet wohl.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 449-451.
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