66. Ob vor Zeiten wohl so grosse Kriege und unglückselige Zeiten gewesen / als jetzund?

[464] Wir müssen zwar bekennen / und hertzlich darob seuffzen / daß heute zu Tage unser geliebtes Vaterland Teutscher Nation / durch das betrübte[464] Kriegswesen so jämmerlich wird verderbet / so viel tausend Menschen nieder gemacht / so viel schöne Städte zerstöret. Wann wir aber ansehen und behertzigen die alten Zeiten / so befinden wir / daß nichts neues / sondern nur Kinderspiel zu rechnen / gegen deme / was vormals in der Welt geschehen. Daß ich andere Völcker und Länder / als Perser / Griechen / Israeliter /etc. hindan setze / will ich nur zum Exempel anziehen allein das Römische Reich / und von desselben Kriegs-Läufften etwas vermelden. Belangend nun die Römer / so ist bekandt aus den Historien / daß zu Zeiten des Junii Camilli, (dessen droben gedacht /) der Brennus aus Franckreich in Italien gefallen mit 300000. Mann / hat das gantze Reich verheeret / ja auch die Stadt Rom so geänstiget / daß die wenig übrige Menschen sich haben aufs Capitolium verkriechen müssen: Welches dann Brennus auch hätte erobert / wann nicht Camillus solches verhindert. Aber von diesen 300000. Mann ist nicht ein einiger zurück in Franckreich kommen / der nur die Zeitung hätte bringen können.

Es ist kein Volck gewesen / welches den Römern mehr Wesens und Unruhe gemacht / als die Samniter /mit welchen sie über 50. Jahr gekrieget / da ist unter diesen beyden Völckern eine Schlacht geschehen / in welcher auf einen Tag geschlagen und umkommen 15000. Mann.

Wie der König Pyrrhus den Römern ins Land fiel /und erstmals die Elephanten im Streit gebrauchet /seynd der Römer auf einen Tag gefallen / und vom Pyrrho nieder gemacht 7000. streitbare Männer. Nicht lange darnach lieferte Pyrrhus den Römern wiederum eine Schlacht / darinn sind 6000. Römer umkommen.[465]

Die allergrössesten Kriege / so jemals die Römer gehabt / sind die Poenischen oder Carthaginensischen. Im ersten Poenischen Kriege sind Obristen gewesen /von der Römer Seiten Manlius und Regulus, haben bey sich gehabt 114000. Mann / benebenst 330. Kriegsschiffen: Denen sind entgegen gegangen die Carthaginenser mit 150000. Mann / und 50. Schiffen. Nach vollendeter Schlacht hat Manlius 20000. Gefangene mit sich nach Rom geführet: Die übrigen seynd theils erschlagen / theils verjaget. Regulus blieb allda / ward von den Carthaginensern übermannet / und 30000. Römer auf einmal geschlagen / er selber (Regulus) mit 900. Officierern gefangen. Bald darnach ist frisch Volck von Rom dahin gesandt / unter Obristen Cotta, und wiederum eine Schlacht geschehen /darinnen der Carthaginenser 20000. geblieben / 120. Elephanten nach Rom geführet. Das Spiel hat sich aber gewendet: Dann nach Cotta ist Claudius dahin geschicket / welchem die Carthaginenser in einer Schlacht 20000. Römer abgeschlagen / und 200. Schiffe zunichte gemacht. In diesem einigen Kriege haben die Römer verlohren 700. Schiffe: Die Carthaginenser 500. an beyden Seiten seynd geblieben über zehenmal 100000. Menschen. Der ander Poenische Krieg ist noch viel gefährlicher und grösser gewesen als der erste. In demselben ist der Hannibal den Römern ins Land gefallen / und dem Flaminio, welcher der Römer Heer geführet / auf einen Morgen abgeschlagen 15000. Mann / dabeneben 10000. in die Flucht gejaget / 6000. gefangen / und in eiserne, Ketten geschlossen weggeschickt: Er Hannibal hatte kaum anderthalb 1000. verlohren. Durch[466] diese Schlacht ist den Römern ein solch Schrecken eingejaget / daß wann man Hannibal nur hat nennen hören /die Leute sich für Angst in die Winckel verkrochen. Folgends hat Hannibal den Römern noch etliche Schlachten geliefert: In der letzten und vierdten seynd zween Bürgermeister ihm entgegen geschicket / mit einem Kriegsheer / nemlich Varro und Æmilius, und seynd diese bey Cannas (heut Puglia genannt) an Hannibal gestossen / allda sie sich dermassen geschlagen / daß auf der Römer Seiten Æemilius auf der Wahlstatt geblieben mit 80. Römischen Rathsherren /und 40000. gewapneter Männer / benebenst 2700. Reutern. Varro ist nach Rom geflohen / den man allda willkommen geheissen.

Hie gebe ich einem jeglichen Vernünfftigen zu behertzigen / ob nicht für unser Zeit viel grössere Kriege in der Welt gewesen / viel tausend Menschen mehr in einem Tage geblieben / viel mehr Städte verheeret /kürtzlich viel mehr Jammer und Elend bey Kriegs-Läufften gewesen / als heut zu Tage?

Teutschland belangend / muß ich diß einige hinzusetzen. Bey Zeiten Käysers Augusti, unter welchem Christus der Welt Heyland gebohren / fielen die Römer in Teutschland / in Meynung / solches zu überrumpeln. Ihr Führer war Tiberius ein Stieffsohn Augusti: Damals war in Teutschland ein mannhaffter Edelmann und Ritter / Mehrbott genannt / der sammlet zusammen 70000. Mann zu Fuß / 4000. Reuter /vorhabens / die Römer aus seinem Vatterlande abzuhalten: Unterdessen fielen die Ungarn und Crabaten von den Römern auch ab / rotteten sich zusammen über 200000. Mann / 9000. Reuter / gedachten die Römer[467] in ihrem eigenen Lande heimzusuchen: Es mißlung ihnen aber. Tiberius siegete: Kam nach Rom und triumphirte. Nicht lange darnach schickete Augustus den Quintum Varum nach Teutschland / mit 54000. auserlesen zu Fuß / und 3. Geschwader Reuter: Diese kamen an das Teutsche Volck / ohngefehr am Lip-Strom. Da geschahe ein Treffen. Vari Volck ward nicht allein geschlagen von den redlichen mannhafften Teutschen / sondern er selbst verwundet / und wie er gesehen / daß alles verlohren / hat er ihm selber mit seinem eigenen Schwerdt das Hertze abgestochen / welches auch alle Officirer gethan. Diese Zeitung / wie sie nach Rom kommen / hat dermassen den Augustum betrübt und bestürtzt gemacht / daß er geweinet / und ohn Unterlaß kläglich geschryen: Gib mir meine Legionen wieder / Vare! O Vare, schaff mir meine Legionen wieder!


Kein Unglück ist so groß / es findet sich entweder vorhin oder anderswo ein grössers.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 464-468.
Lizenz:
Kategorien: