69. [471] Harpyiæ.

Virgilius im 3. Buch vom Æenea, und Hesiodus in der Götter Geburt schreiben von den Harpyiis, daß sie sind Vögel gewesen in Thracia / welche gehabt leider wie die Vögel / Ohren wie die Bären / Angesichter wie die schönen Jungfrauen / Hände und Beine wie die Menschen / aber mit grausamen Klauen: Seynd des Gottes Jovis Hunde gewesen / so alles aufgefressen / und fast unersättlich / und dem blinden Phineo in Bithynia zur Straffe heim ins Hauß gesandt. Demselben haben die Harpyiæ alle Speise / (so offt er essen wollen) fürm Maul weggerissen /[471] und verschlungen / und einen abscheulichen / unerträglichen Stanck von sich gelassen. Mit diesen Ungeheuren hat sich der blinde Phineus plagen müssen / so lange biß Calais und Zethus, zween Brüder / des Boreæ Söhne / dahin kommen / und die Harpyias von Phyneo weggetrieben / derer Nahmen gewesen / Aello, Ocypete, und Cœleno.


Durch dieses Gedichte haben die Poeten nichts anders andeuten wollen / als die Art und Eigenschafft der Geitzhälse. Ein Geitziger ist am Hertzen verblendet / siehet nicht / daß die Natur mit Wenigen zufrieden. Er wird immerfort mit Hunger geplaget: Hat zwar an Essen oder Geld den Uberfluß / kans aber nicht geniessen? Ist eben so viel als hätte ers nicht. Die Harpyien haben ihren Nahmen von Rauben: Ein Geitziger raubet alles an sich / was er nur bekommen kan: Frist sein eigen Hertz auf für Sorge / wird doch nimmer satt: Mit dem Mund giebt er gute Wort / wie ein seiner Mann / seine Fäuste aber haben Klauen / ziehen alles zu sich / zuletzt läßt er doch einen Stanck nach sich: Einen bösen Rahmen GOttes Straffe / des Nechsten Haß / der Armen Fluch / und endlich das ewige Feuer.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 471-472.
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