10. Vom [14] Palladio der uhralten Stadt Troja.

Der Stadt Trojæ in Phrygia / mit welcher die Griechen einen zehenjahrigen Krieg geführet / erster Stiffter und Erbauer ist gewesen der König Tros, und nach ihm Ilius, welcher darinnen ein Königliches Schloß hat aufrichten und verfertigen lassen / und von seinem Nahmen genennet Ilium. Wie nun die Stadt und Schloß fertig / hat Ilius darinnen der Göttin Palladi zu Ehren einen köstlichen Tempel zu bauen angefangen: Und ist auch der Tempel gantz fertig gemacht /biß auf das Dach oder die Decke: Da hat sich ein seltzames Ding zugetragen. Denn es ist vom Himmel plötzlich herunter gefallen in den Tempel ein wunderlich Bild / zwar von Holtz gemachet / aber diß Holtz hat kein Mensch erkennen / noch dessen eigentliche Figur / und wem das Bild gleich wäre / verstehen oder vernehmen können. Es hat sich aber dieses Bild bey dem grossen Altar niedergelassen / und an der Mauer sich fest angehängt / da es auch geblieben / und von keinem Menschen sich bewegen lassen / ohn allein vom Priester desselben Tempels / der hat es allein können tragen und beschauen: Von welchem es mit grossen Fleiß und Ehrerbietung bewahret. Dieses Wunderbild ist genennet worden Palladium, von der[14] Pallade. Nun war es also mit dem Palladio beschaffen / und von der Pallade, benebenst den andern Göttern / beschlossen / daß / so lange das Palladium in der Stadt Troja bleiben / und nicht von dannen wegkommen würde / so lange würde die Stadt unüberwindlich seyn / und durch keine Kriegs- oder Feindes-Macht überwältigen und verstöret werden. Darum dann das Palladium von den Priestern gar hoch bewahret / bewachet und geehret ward. Und ob wol die Griechen zehen gantzer Jahr die Stadt belägert und bestritten / so hätten sie dieselbe doch nicht einbekommen / wann nicht die zween Trojanische Fürsten /Æneas und Antenor, verrätherlich gehandelt / mit dem Feinde heimlich accordiret / das Palladium bey nächtlicher Zeit aus dem Tempel / durch den Priester Thoas (mit Gelde darzu gekauffet und überredet) wegtragen lassen / und also die Stadt ihres Patroni und Schutzherrn beraubet. Dermassen ist Troja, so bald das Palladium hinweg gebracht / von den Griechen erobert / alles darinnen ermordet / geplündert /und endlich in die Asche geleget und verbrannt worden.


Diesem Palladio können mit gutem Fuge verglichen werden die Academien / welche / so lange sie in Ehren gehalten und erhalten werden / floriren die Städte / und seynd in gutem Wolstande. Wann sie aber unterdrucket /verberget oder gantz abgeschaffet werden / so pfleget gewißlich darauf zu erfolgen der Städte Unglück und Unter gang.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 14-15.
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