11. Das wunderschöne Gespräch / zwischen dem jungen Gesellen [15] Hercule, der Wollust und der Tugend.

Xenophon im 2. Buch seiner denckwürdigen Sachen /wie denn auch Cicero im 1. Buche de Officiis, gedencken einer wunderlichen Historien / welche in[15] alten Zeiten aufgeschrieben ist vom Prodico, und verhält sich folgender gestalt:

Als der Hercules aus seiner Kindheit war getreten /und nun anfieng ein junger Geselle zu werden / da ward er zweiffelhafftig in seinem Gemüthe / ob er solte der Tugend / oder der Wollust sich ergeben? Dieses Zweiffels halben in seinen Gemüthe verirret /ist er in einen Wald gegangen / daselbst sich niedergesetzet / und angefangen die Sache bey sich zu erwegen: Da seynd zu ihm kommen zwo Frauen unterschiedlicher Gebehrden und Zieraths. Die eine mit einer natürlichen Schönheit des Angesichts / mittelmäßiger Länge / einer freyen lustigen Gestalt / züchtig von Gebehrden / mit einem schnee-weissen Kleide; Die andere lang von Statur, etwas feister / gläntzende von angestrichenen Farben unter dem Angesicht / eines leichtfertigen Gesichtes / eines hochmüthigen Gangs / sich offt umher sehende / ob auch jemand nach ihr umschauete / angethan mit einem Kleide von vielen Farben. Diese beyde Weibes-Personen seynd recht hinzu nach dem Hercule gegangen: Und zwar die Erste / (welche war die Tugend /) ist mit einem ebenen / gleichmäßigen Gange herfür getreten. Die andere (war die Wollust) die ist schnell gelauffen / und den Herculem auf folgende Art und Weise angeredet: Ich sehe / lieber Hercules, daß du zweiffelhafftig bist / auf welchen Weg du dich begeben sollest in deinem Leben? Derhalben / so du mich zur Freundin und Führerin erwehlen wirst / will ich dich leiten durch einen Weg / der leicht und lieblich ist. Da du nicht allein schmecken solt alle Lieblichkeit der Welt / sondern auch niemals einige Schmertzen oder Beschwerung empfinden.[16]

Fürs erste solt du mit Krieg / oder Geschäfften /oder Arbeit nichts zu thun haben / sondern nur bedencken / was für wohlschmeckende Speise und Trank du geniessen wollest; Was dir lieblich sey anzuschauen /zu hören / zu erreichen; Und wie du dich wollest mit der Liebe belustigen / und mit jungen Mägdlein ergetzen; Wie du sanfft und süsse schlaffen mögest; Und zwar solt du dieses alles erlangen / ohne einige Arbeit und Mühe / und da entgegen / wo dir solches zu Zeiten mangeln möchte / solt du solches nicht erwerben /oder erlangen durch Mühe und Fleiß / sondern du solt geniessen anderer Leute Arbeit / und kein Ding unterlassen / daraus du einigen angenehmen Gewinst haben könnest.

Als solches der Hercules gehöret / hat er gefraget: O Frau / was bistu für eine? Und wie ist dein rechter Name? Sie antwortete / meine Freunde nennen mich Glückseligkeit / oder Wollust: Die aber / so mich hassen / heissen mich Faulheit. Unter diesem Gespräch ist das andere Frauen-Bild auch heran getreten / sagende: Lieber Hercules, ich komme auch zu dir /kenne deine Eltern gar wol / weiß auch / wie du in deiner Jugend unterwiesen bist: Derowegen ich der Hoffnung und Zuversicht bin / wo du den Weg gehen wirst / den ich dir gedencke zu zeigen / so werdestu nicht allein treffliche Thaten thun / sondern auch einen ewigen unsterblichen Nahmen erlangen. Im Antritt will ich dir nicht schmeicheln mit lieblicher Wollust / sondern nach der Wahrheit aus dem Grunde sagen / was meines Wesens ist. Alles / was fürtrefflich / löblich und gut ist / wird nicht ohne Arbeit /Fleiß und Mühe den Menschen von den Göttern gegeben. Wilt du / daß dir die Götter sollen gewogen[17] seyn / so mustu sie ehren / und ihnen dienen. Wiltu von deinen Freunden geliebet werden / so mustu ihnen Gutes thun. Wiltu von einer Stadt geehret werden /mustu erstlich dich wohl verdient machen um dieselbe. Wiltu Frucht und Einkommen schöpffen von der Erden / so mustu dieselbe bauen und pflügen. Wiltu durch Krieg Reichthum erlangen / so mustu die Krie ges-Künste erstlich von andern lernen / und dich darinn üben. Wiltu ein Redner / ein Artzt / ein Rechtsgelehrter werden / mustu zuvor diese Künste mit Fleiß und Arbeit erlernen. In Summa / ohne Arbeit / Mühe und Fleiß / wirstu keines löblichen Dinges theilhafftig. Kaum hatte dieses die Frau Tugend gesprochen /da fiel ihr die Wollust in die Rede / sagende: Siehestu nicht / O Hercules, welch einen langen und schweren Weg dir das Weib zeiget und fürhält? Ich aber will dich durch einen kurtzen lustigen Fußsteig führen zur Glückseligkeit. Da hub die Tugend an / und sprach: O du elendes Weib / was hastu doch Gutes an dir? du issest / ehe dich hungert: du trinckest / ehe dich dürstet: Allezeit bistu dick und voll: Unbequem etwas Gutes zu verrichten; Den meisten und besten Theil des Tages schläffestu. Ob du wol unsterblich bist / so bistu doch von den Göttern verstossen / von ehrlichen Leuten verachtet und verworffen. Du hast dein Lebenlang nicht eine ehrliche / löbliche That gethan / bist nie von Göttern und verständigen Menschen gelobet worden: Keiner / der noch seiner Vernunfft gebrauchen kan / folget deinem Hauffen nach. Deine Diener / wann sie jung seyn / seyn sie schwach vom Leibe: Wann sie alt werden / seynd sie aberwitzig und unklug. In der Jugend leben sie wohl: Im Alter müssen sie lernen arbeiten. Wann das[18] Ihrige unnützlich ist verzehret / müssen sie Hungers sterben.

Ich gehe mit den Göttern um: Gehe um mit weisen und ehrlichen Menschen. Keine herrliche That / noch Göttliche / noch Menschliche / wird ohne mich begangen. Ich werde in grossen Ehren gehalten von den Göttern und von Menschen. Ich bin eine liebe Gesellin den Handwerckern in ihrer Arbeit: Eine theure Bewahrerin den Haußhaltern in ihren Häusern: Eine Helfferin der Studenten in ihren Studieren: Den Bauern in ihrem Ackerbau: Den Kriegs-Helden in ihren Streiten. Das Essen und Trincken schmecket meinen Freunden wohl / bekommt ihnen wohl / denn sie warten / biß sie hungert: Der Schlaff ist ihnen süsser als Honig / den unterlassen sie gerne der Arbeit halber. Die Jungen erfreuen sich / wenn sie von den Alten gelobet werden. Die Alten erfreuen sich / wenn sie sehen / daß die Jungen Ehre erlangen. Endlich / wann ihres Lebens Ziel vorhanden / so sterben sie nicht ungeehret oder vergessen / sondern bleiben in ewigwährender Gedächtniß / und leben bey jedermänniglich / ob sie schon gestorben seyn. Solche Leute sind gewesen deine Eltern / O Hercules! So gebühret es sich / daß du / als ihr Sohn / ihnen nachfolgest / dahin ich Tugend dich führen will.

Durch diese Rede ist Hercules bewogen / von seiner Stätte aufgestanden / die Wollust mit Füssen getreten / der Tugend nachgefolget / und hat durch grosse Arbeit und Fleiß so viel zu wege bracht / daß er hernachmals den Göttern ist gleich gehalten worden.


Diesem Exempel des Herculis folget nach / O ihr jungen Knaben: Lasset euch von der Wollust nicht verführen. Die Tugend / das ist / Sprachen und Künste bringen euch zu hohen Ehren.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 15-19.
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