24. Aus einem Holtz-Träger wird [37] Protagoras ein Philosophus.

Der Protagoras ist in seiner Jugend ein Arbeits-Knecht gewesen / und hat um Lohn gedienet / daß er seine Kost erwürbe / meistentheils aber Holtz auf seinem Rücken getragen. Auf eine Zeit ist er nach der Stadt Abderam (darinnen er zu Hause gehöret) gegangen / auf dem Halse tragende ein groß Bund Holtzes /mit einem Stricke künstlich zusammen gebunden. Da ist ihm der Democritus, aus der Stadt kommende / begegnet / welcher / wie er gesehen / daß er mit einem so unbequemen und schweren Hauffen Holtzes so leicht und gemächlich einher trat /[37] ihn gebeten / er möchte stille stehen / auch gefraget / wer das Holtz auf solche Geometrische Art und Weise zusammen gebunden? Darauf Protagoras antwortet: Er hätte es selber gethan. Da hat Democritus ihn gebeten / er wolte es auflösen / und es wieder zusammen binden /daß er es selber sehe. Als nun Protagoras solches gethan / hat Democritus gesaget: Lieber junger Geselle /weil du einen guten Verstand hast etwas zu verrichten / so komme mit mir / du must zu höhern und grössern Sachen gebrauchet werden: Hat ihn hiemit in sein Hauß geführet / ihm alle Nothdurfft gegeben / und ihn in der Philosophia unterwiesen. Also ist Protagoras vom Holtz-Träger ein solcher berühmter Philosophus worden / daß auch Plato einem seiner Dialogen den Titul gegeben / Protagoras.


Hieraus ersehen wir / daß offtmals stattliche Ingenia gefunden werden / auch bey Leuten geringes Standes. Und hat Terentius recht geredet: Ut sæpe summa ingenia in oculto latent.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 37-38.
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