34. Was der Labyrinth für ein Gebäu gewesen /zugleich die [54] Historia Thesei und Ariadnes.

Dædalus ist ein sehr künstlicher Meister und Arbeiter gewesen / welcher / wie er vom Könige Minoë gefangen gehalten ward in der Insul Creta, allda gebauet hat einen wunderbaren Irrgang / Labyrinthum geheissen / der mit so vielen krummen Gängen ist unterschieden gewesen / daß kein Mensch / der einmahl hinein gegangen / sich hat wiederum heraus[54] finden und kommen können. Mitten in dem Labyrintho war ein schreckliches Wunderthier / halb ein Ochse / halb ein Mensch / Minotaurus geheissen / welchen die Poeten nennen Semibovemque virum, semivirumque bovem. Dieser Minotaurus hat alle, so hinein gekommen / aufgefressen. Endlich ist auch Theseus ein hübscher junger Geselle zum Labyrintho geschicket: Denselben hat die Jungfrau Ariadne, des Königs in Creta Tochter lieb gewonnen / und ihm einen Rath gegeben / wie er soll sicher in den Labyrinth, und auch wieder heraus gehen. Ja auch das Monstrum gar tödten: Nemlich / er solte einen langen Faden nehmen / und davon ein Ende an die Thür oder Eingang des Labyrinthi fest anbinden: Mit den andern Faden solte er durch alle Gänge des Labyrinthi gehen / biß er zum Minotauro käme, dem solte er etliche Küchlein von Pech und andern Sachen gemacht / vorwerffen. Wann er die würde aufgefressen haben / so würde er alsbald sterben. Damit er nun könte wieder heraus kommen /so solte er seinen Faden folgen / der würde ihn wiederum geleiten biß an die Thür. Solches hat der Theseus gethan: Ist also der Gefahr entrunnen. Von diesem Labyrintho seynd hernachmals alle schwere /verworrene Sachen Labyrinthi genennet / und das Sprichwort / in Labyrinthum incidere, ist zu verstehen von dem / der in unrichtige und verworrene Sachen sich vertieffet / oder hinein stürtzet. Gleicher Gestalt wird das Sprichwort filum Ariadnæum gebraucht für ein Ding / welches uns nützlich ist zu helffen und zu entfreyen / aus schweren und verworrenen Händeln. Also ist die Logica ein filum Ariadnæum, dadurch[55] wir uns können auswickeln aus irrigen und verführenden Reden und Discursen / wie dieser Vers anzeiget:


Filo Adriadnæo nisi te Dialectica ducat;

Ex Labyrintheis non potes ire plagis.


Man kan auch den Labyrinth auf das Menschliche Leben / und dessen Zustand deuten und ziehen.

Denn dasselbe ist ein rechter Sünden-Labyrinth / in welchem lieget der höllische Minotaurus des Teuffel: Von dessen Gewalt wir werden erlöset / wenn wir alsobald im Eingang unsers Lebens vermählet werden durch die H. Tauffe Christo JEsu / welcher uns giebet den Faden seines Heil. Worts und des wahren Glaubens /Krafft dessen wir können durch Tod und Leben in den Himmel hinein dringen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 54-56.
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