38. Des [61] Intaphernis Haus-Frauen denckwürdige Thaten.

Herodotus schreibet / daß an des Königs Darii Hofe sey gewesen einer von den fürnehmsten Räthen / mit Nahmen Intaphernes, welcher / als er um etlicher Ubelthaten willen vom Könige ins Gefängniß geleget / endlich auch zum Tode verurtheilet / und zwar nicht allein er / besondern alle seine Kinder / Verwandten /und gantzes Haus-Gesind. Da hat sich des Intaphernis Haus-Frau täglich finden lassen für des Königs Saal; weinend und schreyend den König dahin beweget / daß er ihr hat anmelden lassen / sie solte aus allen Gefangenen einen auslesen / den sie am liebsten behalten wolte / demselben wolte der König aus Gnaden das Leben schencken. Die Frau hat sich eine Weile bedacht / doch letzlich für den König tretende /gesaget: Weil mir der König unter allen eine Seele (oder Menschen) willfahren und schencken will; so erwehle ich unter allen / meinen Bruder. Hierüber hat sich der König verwundert / und zu wissen begehret die Ursache / warum sie nicht um eines von ihren Kindern bete / die ihr doch näher verwandt / oder um ihren Mann / von dem sie mehr Freundschafft haben könte als um ihren Bruder? Die Frau hat dem König zur Antwort gegeben: O König / wann ich schon mei nen Mann und Kinder verliere / so können mir die Götter einen Mann und andere Kinder wieder geben; Aber einen Bruder werden sie mir nicht geben / angesehen meine Eltern vorlängst gestorben. Diese Rede hat dem Könige dermassen gefallen / daß er ihr nicht allein den Bruder / besondern auch ihren ältesten[62] Sohn loßgegeben / die andern aber alle tödten lassen.


Dieses ist gewesen ein Urtheil eines Weibes / ein vernünfftiger Mann hätte viel anders erwehlet und geurtheilet.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 61-63.
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