4. Wunderliche Natur und Eigenschafften der Länder unter dem Nord-Pol gelegen.

[4] In den Ländern / welche nach Mitternacht / oder dem Nord-Pol / gelegen seyn / findet man viel Wunderdinge / derer ich etliche erzehlen will. Erstlich ist allda nicht eine Abwechselung der Tage und Nächte / wie bey uns / da wir das Jahr über drey hundert und fünff und sechzig Tage / und so viel Nächte haben: Sondern allda / unter dem Nord-Pol / ist im gantzen Jahr nur ein eintziger Tag und eine Nacht; Der Tag wäret oder ist lang 6. Monat oder ein halbes Jahr: Da ihnen die Sonne immerdar scheinet und zugegen ist / und nimmer sich aus ihrem Gesichte verleuret / sie auch von keinen Dunckel oder Nacht wissen. Die Nacht wäret gleichfals sechs Monat / welche Zeit über sie immerdar im finstern sitzen und nicht einen Augenblick der Sonnen-Licht geniessen: Haben alsdann gute Zeit und Weile auszuschlaffen: Dieselben Leute werden genennet Cimmeri: Und hieher kömmt das Sprichwort / Cimmeriæ tenebræ, das ist / grosse dicke Finsterniß. Dabeneben ist es in diesen bemeldten Nordländern allezeit und immerdar Winter / vom Sommer wissen sie nichts. Das Meer ist allezeit hart gefroren und thauet nimmer auf: Daher es genennet wird Mare glaciale, alles ist bedecket mit Schnee / der so hoch oder dicke allda liegt / als Thürne hoch. Als die Holländer für etlichen Jahren dahin gereiset / nemlich in Nova Zembla, welche ist eine Landschafft der Nordländer /seynd sie nicht allein mit ihren Schiffen allda befroren / also / daß sie nicht haben können wieder wegsegeln: Sondern seynd auch eben zu der Zeit dahin kommen /wie die lange halbjährige Nacht angangen. Dahero sie gantzer sechs Monat haben müssen im Finstern wandeln; Doch zuvor ein kleines[5] Häußlein aufgebauet /welches alsbald vom Schnee ist überdecket worden /ausgenommen das Loch / dadurch der Rauch gegangen / wann sie Feuer gemachet. Endlich nach Verlauff der 6. Monat / wie die Sonne ihnen wieder begonnen zu scheinen / haben sie alles verlassen / und ihre Schiffe im Eiß stehen lassen: Seynd über die gefrorne See spatzieret biß nach Lapland: Und von dannen wieder in ihr Vaterland kommen. Allhie seynd meist alle Thiere weiß: Weisse Raben / weisse Bähren /weisse Wölffe / weisse Haasen und dergleichen. Das Erdreich in Nova Zembla ist so scharff und herbe /daß / wie die Holländer haben ihre Hunde ans Land gesetzet / und sie eine halbe Viertel-Stunde lauffen lassen / seynd sie wieder kommen mit gestümpelten Füssen: Denn die Schärffe des Erdreichs hatte ihnen die Füsse gantz abgeschabt.


Ein jedes Land hat seine sondere Natur von Wetter /Winden / Menschen und Viehe.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 4-6.
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