40. Welche Sprache die älteste / hat[65] Psammetichus erkunden wollen.

Zu Zeiten des Königs Psammetichi war ein Streit zwischen den Egyptiern und Phrygiern / welche Sprache unter den beyden die älteste wäre? Solchen Zwiespalt zu schlichten / hat der Psammetichus angeordnet / man solte zwey junge säugende Kinder nehmen /und die in eine Wüsten hinlegen unter das Vieh / auf daß sie keines Menschen Stimmen oder Rede höreten: Und wann die aufgewachsen wären / solte man hören / was sie vor eine Sprache reden würden von sich selbsten / dieselbe würde zweiffels ohn die älteste und natürlichste seyn. Solches ist geschehen und vollbracht worden. Wie die Kinder etliche Jahr unter dem Vieh gelebet / ausserhalb und ferne von aller Menschen Gesellschafft / da hat Psammetichus etliche Männer hingesandt / zu vernehmen / was die Kinder reden würden. So bald die Kinder der Menschen ansichtig worden / haben sie geschrien: Bec, Bec, das ist so viel auf Phrygisch / als Brod / Brod. Daher der Psammetichus gesaget / die Phrygische Sprache wäre die älteste. Ich aber halte es dafür / daß der Psammetichus sey in seiner Meynung betrogen gewesen.[65] Denn weil die Kinder mit dem Vieh / als mit Ziegen /Schaafen / Böcken und dergleichen umgiengen /haben sie das Be / Be / von denselben gehöret und gelernet: Und ist ihnen solches nicht angebohren als eine natürliche Sprache. Warlich / wir Menschen haben zwar von Natur eine Stimme / wie auch die andern Thiere / aber die unterschiedliche Sprache ist uns nicht angebohren / sondern wir müssen alle Sprachen / wie sie auch seyn / aus dem Gehör haben und durch Aufmerckung erlernen. Wann ein Mensch taub gebohren wird / also / daß er andere nicht kan reden hören /der wird auch nothwendig stumm / ob er an der Zungen oder am Munde schon keinen Mangel hat. Ursache / weil er andere nicht kan hören reden / so kan er auch nicht reden lernen. Dann kein Mensch bringet einige Wissenschafft von Künsten oder Sprachen mit sich auf die Welt / sondern wir müssen alles durch Arbeit und Fleiß / durch Hören und Aufmercken lernen und begreiffen Aristoteles hat wohl und weißlich gesaget: Unsere Seele sey gleichförmig einer Schreib-Tafel / darinnen nichts geschrieben ist / kan aber allerley hinein geschrieben werden. Wann wir auf die Welt gebohren werden / wissen wir nichts von Künsten und Sprachen besondern können hernachmals alle Künste und Sprachen mit unserm Gemüthe begreiffen und lernen.


Die Menschen streiten und zancken sich offt um unnütze Dinge. Ein Mensch ist von Natur ein elendes und jämmerliches Ding.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 65-66.
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