57. Wunderbahre Krafft des Hollunders oder Flieder-Baums.

[93] Michaël Neander hat in seiner Physica aufgezeichnet eine Historiam, welche wol würdig / daß sie behalten und angemercket werde.

Eine Fürstliche Person war auf eine Zeit auf die Jagt geritten: Und wie sie sich verspätet / und von der andern Gesellschafft verlohren / und in die Irre geritten / ist sie endlich gelanget an ein kleines Bauer-Hauß / mitten im Walde gelegen. Für dieser Bauers-Hütten hat der Fürst einen alten greisen Mann sitzen sehen / sehr heulend und weinend; den hat er gefraget / warum er weine? Der Alte antwortete: Er weinete darum / weil er von seinem Vater sehr hart geschlagen / und übel tractiret worden. Der Fürst verwunderte sich / daß so ein alter Mann noch einen Vater lebend hätte / und er noch so starck / daß er Schläge könte austheilen. Fragete derhalben den alten Greisen[93] ferner / was dann die Ursach sey / und warum ihn sein Vater geschlagen? Da hat der Alte geantwortet: Das wäre die Ursache / dieweil er seines Vaters Vater oder seinen Groß-Vater hätte sollen vom Stuel aufheben / und auf eine andere Stelle setzen / so hätte er ihn unversehens auf die Erde fallen lassen. Hierüber ist der Fürst noch mehr bestürtzet worden; und hat begehret diese alte Leute in ihrem Häußlein selber zu sehen / und die Wahrheit dieses Handels in Augenschein zu nehmen: Ist auch deswegen ins Häußlein gegangen / und die Sache also befunden / mit den Alten geredet / und gefraget / was sie doch für Kost oder Speise essen / dadurch sie so lange bey Leben / Gesundheit und Kräfften geblieben und erhalten worden? Die Alten haben ihm geantwortet: Sie wären zwar keiner andern als gemeiner Speise gewohnet; ässen auch nicht anders als Käse / Milch / Brod und Saltz: Aber gebrauchen jährlich etliche mal / auf gewisse Zeiten das Muß von ausgedruckten Hollunder-Beeren / dasselbe habe sie bey frischer Gesundheit biß anhero erhalten / und zu so hohem Alter gebracht. Der Fürst hat solches alles wol in acht genommen. Mittlerweil aber seynd seine Diener wieder zu ihm kommen / mit dem er wiederum von diesen alten Leuten nach seinem Fürstlichen Hofe gereiset.


Mäßigkeit in Essen und Trincken erhält den Leib / und die Gesundheit. Mancher ist stärcker und lebet länger bey Käß und Brod als ein anderer / der noch so leckerhafftig isset.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 93-94.
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