73. Drey [127] Charites oder Gratiæ.

Die Göttinnen der Danckbarkeit / zu Latein Gratiæ, auf Griechisch genennet χἀριτες, seyn an der Zahl drey / mit Nahmen Aglaja, Thalia, Euphrosine. Solche werden auf folgende fünfferley Art gemahlet von den Mahlern / und von den Poeten beschrieben:

1. Erstlich seyn sie nackend / ohne einige Kleider oder Zierath: Damit anzudeuten / daß der / so etwas gut und denckwürdiges verrichten will / es aus reinem unverfälschtem Hertzen ohne eine Verblühmung /[127] nicht aber aus Schein / oder angezogener fremder Zierath thun solle.

2. Ferner sind sie auch Jungfrauen / in ihrer zarten blühenden Jugend: Dabey gelehret wird / daß / wer Gutthat empfangen hat / derselbe soll solches allezeit in frischem Gedächtniß behalten / und den Danck nicht lassen veralten. Die Dancksagung soll in unsern Hertzen / Worten und Wercken herfür blühen / alle Tage neu / wie die schönen jungen Mägdlein herfür gläntzen.

3. Dabeneben stehen die Gratiæ mit lachendem Gesichte: Dadurch wird angedeutet / daß wer Gutes thut / und einem andern Wolthat erzeiget / soll solches aus frölichen / freyen / willigen Hertzen thun: Nicht mit Zwang oder wider seinen Willen / sondern gerne und mit lachendem Munde: Daher ist das Sprichwort: Einen frölichen Geber hat GOtt lieb.

4. Uber das / seynd ihrer an der Zahl drey / dessen Bedeutniß ist / daß der Dank oder die Vergeltung solle dreymal grösser und mehr seyn / als die Gabe. Wann einer Wolthat beweiset / und der andere dieselbe empfähet / soll er alsbald zur Wiedervergeltung greiffen.

5. Letzlich haben sie sich einander bey der Hand gefasset / anzudeuten / daß Wolthat mit Wolthat solle zusammen gleichsam als an einer Kette gebunden seyn / und je eine die andere bey der Hand haben / das ist / alsbald eine auf die andere folgen.


Man bildet offt mit äusserlichen Gemählden grosse Kunst und Tugend vor. Darum soll man nicht so sehr auf das äusserliche / als auf die innerliche Bedeutung sehen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 127-128.
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