74. Der Studenten dreymahl drey Führer.

[128] [128] Marsilius Ficinus hat in seinem Buche vom dreyfachen Leben eine schöne Invention gesetzet / darinn er angedeutet / daß wer sich auf gute Künste legen / und der Weißheit ergeben will / demselben seyn nöthig dreymal drey Dinge oder Führer / als nemlich / drey im Himmel / drey im Gemüthe / und drey auf Erden.

Die drey Führer oder Gehülffen im Himmel seynd, Mercurius, die Sonne / und Venus.

1. Mercurius, ein Erforscher und Erfinder geheimer Dinge / reitzet an und vermahnet zum Studiren / und zu suchen / was löblich und der Weißheit gemäß ist.

2. Die Sonne / oder Phœbus erleuchtet mit seinen Strahlen / sowol die Gemüther / welche dem Studiren obliegen / als auch die Dinge selbsten / welche man erforschet / und machet / daß uns alles hell und klar fürkomme.

3. Venus machet mit ihrer Frölichkeit und Bequemlichkeit / daß / was durch Hülffe des Mercurii erfunden / und durch Hülffe des Phœbi leicht und klar verstanden und begriffen / könne artig und deutlich ausgesprochen / oder in die Feder gefasset werden / auf daß es eine Art und Lieblichkeit gewinne.

Die andern drey Führer im Gemüthe seynd: Ein beständiger Wille / ein gutes Verständniß / ein starck Gedächtniß.

1. Der Wille und Begierde zu lernen muß fest /standhafftig und gewiß seyn / damit man nicht wancke / oder in seinem Fürnehmen unbeständig sey. Wer sich einmal fürgenommen dem Studiren obzuliegen /der muß beständig dabey verharren / und sich durch keine Mühe oder Arbeit abschrecken lassen.[129]

2. Ein gutes Ingenium ist einem Studenten auch hoch nöthig / damit er alle / und insonderheit subtile Sachen / bald ergreiffen und verstehen könne. Die von Natur dumm / und von keinem guten Verstande seynd / die erreichen selten ein gewünschtes Ende ihres Studirens. Dann gleichwie man aus jeglichen Klotze nicht kan ein Bildniß machen / also sind alle Ingenia zum Studiren nicht bequem.

3. Das Gedächtniß muß auch gut und standhafftig seyn. Dann wann man noch so viel und lange studirete / und könte nichts auswendig behalten / so wäre das Studiren nichts nütze. Ich halte es dafür / daß einer nur so viel wisse / als er im Gedächtniß behalten kan. Der nichts weiß ausserhalb der Bücher / ist gleich der Lauß / so nichts vermag / ausserhalb dem Grinde.

Die drey letzten Führer seynd fromme Eltern / ein getreuer Præceptor, und ein erfahrner Artzt.

1. Wann die Eltern fromm und ehrlich seyn / so ist zu vermuthen / die Kinder seyn auch so. Von den Eltern haben die Kinder nicht allein die Gaben des Leibes und des Gemüthes / sondern müssen auch von ihnen gewärtig seyn aller Unkosten / welche auf das Studiren gewendet werden.

2. Ein fleißiger und getreuer Præceptor ist auch höchlich vonnöthen / der einen jungen Studenten unterrichte in Gottesfurcht / in guten Sitten / in Sprachen und Künsten: Und keinen Fleiß spare / seine Schüler zu bringen an den gewünschten Zweck der Erudition und Weißheit.

3. Ein Artzt ist auch vonnöthen. Dann die Gelehrten seynd gemeiniglich schwach von Natur und Leibe[130] Angesehen / weil durch viel Studieren die Kräffte des Leibes sehr geschwächet werden: So muß nun ein Medicus den Studenten bey der Hand seyn / wenn sie irgendwo in Kranckheit fallen: Das seyn also die dreymal drey Führer der Studenten.


Siehe / so viel gehöret zu Erlangung der Wissenschafft. Dahero dann billich die Gelehrten für allen andern Menschen in Ehren zu halten.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 128-131.
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