76. Was [132] Virgilius erdacht und geschrieben vom Ænea.

Gleichwie Homerus ein sonderlich Buch im Griechischen Versen geschrieben vom Ulysse, genannt Odyssea: Also hat Virgilius in Lateinischen Versen vom Ænea ein herrliches Werck / welches er Æneida nennet / verfertiget und hinterlassen. Der Inhalt der Historien vom Ænea ist dieser:

Nachdem die Stadt Troja gewonnen / und in vollen Flammen stund / ist der Trojanische Fürst Ænea dem Feuer und dem Tode entrunnen: Hat auch er der Eile aus Troja mit sich weggeführet seinen alten Vater den Anchisen, welchen er mitten durch das Feuer auf seinem Rücken getragen / bey der Hand hebend seinen kleinen Sohn Julum, oder Ascanium, und ist also mit etlichen Gefehrden nach der See zu den[132] Schiffen geeilet / allwo er seine Hauß-Frau / die Creusam, welche in der Flucht von ihm kommen war / und vielleicht im Feuer verbrannt / erst vermisset.

Hierauf ist er mit seiner Gesellschafft und etlichen Götzen-Bildern / die er aus Troja mit weggenommen / zu Schiffe gangen / und davon gesegelt. Endlich nach grosser Gefahr und erlittenen Verlust etlicher Schiffe in Phœnicia angelanget / woselbst dazumahl die Königin Dido, eine junge Wittwe / regierete / wel che eben zur selben Zeit anfieng die Stadt Carthago zu bauen.

Æneas giebt sich mit seinen Gefehrden bey ihr an /bittet um sicher Geleit und Herberge: Das ihm nicht allein von der Didone gerne gegeben ward / sondern Dido gewinnet auch den Æneam (nachdem er in ihrer Gegenwart erzehlet hatte / wer er wäre / und wie Troja nunmehr erobert / und zerstöret sey) dermassen lieb, daß sie ihn zu ihrem Ehemann erwehlet / und gerne hätte annehmen und behalten wollen. Aber Æneas zog aus Befehl der Götter heimlich von der Didone weg / darum sie sich so sehr bekümmerte /theils aus Liebe / theils aus Verdruß / daß sie sich selbst an einen Balcken erhenckete.

Also segelte Æneas mit seiner Gesellschafft ferner fort / und kam in Italiam, da zu der Zeit der Latinus Herr und König war (von welchem Italia ist Latium genannt.) Dieser Latinus hatte eine Tochter mit Nahmen Lavinia, um welche ein trefflicher Kriegs-Held / Turnus genannt / freyete. Nun war dem Ænea von den Göttern zugesaget / daß er und seine Erben solten Italiam besitzen / und ein eigenes Königreich daraus machen. Derohalben konte es nicht anders[133] seyn / Æneas müste den Turnum aus dem Wege räumen /und also des Königes Tochter Laviniam auf seine Seite bringen und gewinnen. Dahero erregte sich der Krieg zwischen diesen beyden Helden. Endlich grössere Blutvergiessung zu verhüten / ward aus Rath und Willen des Königs Latini und der Laviniæ, ein eintzler Kampff angesetzet / zwischen Turno und Ænea alleine: Wer darinn obsiegen würde / der solte die Braut haben / und nach des Latini Tode Herr des Landes seyn. In diesem Streit fügete das Glück dem Ænea also / daß er Turnum zu tode schlug. Also ward die Lavinia des Ænea Ehe-Weib / und wie Latinus mit Tode abgieng / ward Æneas König über Latinum oder Italien / und nach ihm sein Sohn Julus; Von welchem Ænea als dem ersten und fürnehmsten Könige ihren Ursprung genommen die andern Könige in Italia.


An Æenea haben wir ein schönes Exempel der Liebe der Kinder gegen die Eltern. Fremde soll man gerne herbergen. Viele tödtet die blinde Liebe. GOttes Rath und Willen soll man folgen. Nach dem Ungewitter scheinet endlich die Sonne.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 132-134.
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