8. Ein [11] Dilemma zwischen dem Præceptore und Schüler tractiret / welches für unauflößlich ist gehalten worden

Proverb. Mali corvi, malum ovum.

Protagoras, der Philosophus und beredte Orator, hatte einen Discipel mit Nahmen Evathlus, mit welchem er solchen Vergleich machte: Daß / wann Evathlus so viel würde gelernet haben / daß er eine Sache für Gerichte könte gewinnen und erhalten / so solte er dem Protagoræ ein Talentum, oder 600. Cronen geben. Wie nun dem Protagoræ dauchte / dieser Schüler hätte genug gelernet / hat er von ihm das Geld gefodert. Der Schüler Evathlus hat sich geweigert ihm das Geld zu geben. Da hat Protagoras den Evathlum fürs Gericht gefodert / und gesprochen: O du thörichter Jüngling! Lerne jetz und / daß du mir den zugesagten Lohn geben müssest / es sprechen auch die Richter das Urtheil für dich oder wieder dich. Gewinnest du es / und daß sie für dich sprechen / so bist du mir schuldig / laut unsers Vertrags / der da war / daß du mir bezahletest / wann du die erste Sache würdest gewinnen für Gericht: Sprechen aber die Richter wider dich / und du verleurest die Sache / so bist du mir schuldig zu zahlen das Recht / weil es die Richter also urtheilen. Hierauf hat der Evathlus geantwortet? O weiser Meister! Lerne du jetzund auch / daß ich dir nichts zu geben schuldig bin / wie es auch lauffe; Es sprechen[11] auch die Richter für dich oder wieder dich: Dann verliere ich die Sache / so bin ich dir nichts schuldig / laut unsers Vertrages / denn ich noch nicht so viel gelernet / daß ich eine Sache gewinnen kan. Gewinne ich aber das Urtheil wider dich / warum solt ich dir denn geben? Dieweil es mir würde zuerkant von den Richtern / daß ich dir nichts geben solte? Die Richter / wie sie diese Disputation gehöret / haben sie gesagt: Κακοῦ κόρακος κακὸν ὠὸν. Mali corvi, malum ovum. Das ist: Der Meister taug eben so wenig / als der Schüler: Und haben diesen Streit für unauflößlich gehalten / und gantz kein Urtheil drüber gesprochen.


Es stehet sehr übel für GOtt und den Menschen / wenn ein Schüler seinem Meister die Belohnung vorenthält. Kein grösser Laster ist als die Undanckbarkeit: Und solche listige Ausflüchte / damit man seinen Præceptorem betreugt / bleiben nicht ungestraffet.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 11-12.
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