85. Register und Erklärung der Poetischen Götter.

[146] Die alten Heyden / insonderheit die Poeten / haben in grosser Blindheit gelebet / und an statt des ewigen /wahren / Allmächtigen GOttes / unzählich viel Götter erfunden und angebetet: Von welchen ich etliche / und zwar die fürnehmsten / erzehlen will / zu dem Ende /daß man der Poeten Schrifften desto besser möge verstehen:

1. Der fürnehmste unter ihren Göttern ist gewesen der Jupiter, welchen sie geheissen einen Vater der Menschen und Götter. Ihm haben sie in die Hände gemahlet Blitz- und Donner-Pfeile / sitzend auf einem Adler / darauf er vom Himmel herunter / und wieder in die Höhe fahre / er hat geherrschet über die Lufft und das Gewitter. Daher ist die Art zu reden bey den Poeten: Sub Jove frigido, das ist / in der kalten Lufft.

2. Saturnus ist des Jovis Vater / und von seinem eigenen Sohn ins Elend verjaget. Und weil man glaubete / daß dieser Saturnus erstlich erfunden den Ackerbau / und die Pflantzung der Bäume / so hat man ihn gemahlet mit einer krummen Sichel in der Hand /welche[146] man genennet hat den krummen Zahn Saturni. Ferner ist Saturnus ein trauriger Melancholischer Gott gewesen: Daher alte störrige Leute genennet werden Saturnini. Von ihm kommen auch Saturnalia, Fastnacht.

3. Vulcanus ist der hinckende Gott und Schmidt aller Götter / ihm ist das Feuer zugeeignet. Daher kömmt die Phrasis: Vulcanum in cornu geris, das ist / du trägest ein brennend Liecht in der Leuchte. Item: Vinculum Vulcaneum, das ist / ein starckes Band; Dann Vulcanus hat eine kleine Kette geschmiedet /mit welcher er Martem und Venerem zusammen buhlend / so fest gebunden / daß sie sich nicht haben regen können.

4. Mars ein Gott des Kriegs / der Soldaten / der Wehr und Waffen. Von diesem kommen die Sprüche: Vario Marte pugnatum est, das ist / zu Zeiten hat das eine Theil / bißweilen das andere gewonnen: Item: Proprio Marte, von sich selber / aus eigenen Kräfften. Aperto Marte congredi, aufrichtig streiten / ohne Betrug.

5. Neptunus, ein Gott des Meers und der Schiff-Leute. Von ihm kömmt: Sich dem Neptuno vertrauen / das ist / auf die See fahren. Item, mit Unrecht beschuldiget er den Neptunum, welcher bereits einmal Schiffbruch erlitten / und sich hernach zum andernmal wiederum auf die See begeben darff.

6. Apollo oder Phœbus, ein Gott vieler Dinge: Erstlich der Artzney: Daher die Medicina genannt wird Ars Apollinea. Zum andern der Poeterey: Denn die Poeten seynd alle unter dem Gebiethe Apollinis, und ist Phœbus ihr Patron. Weil auch der Apollo die[147] Jungfrau Daphnem geliebet / die hernachmals in einen Lorbeer-Baum verwandelt worden / als kommt daher / daß die Poeten mit einem Lorbeer-Baum geehret und gekrönet werden: Heissen alsbald Poëtæ Laureati. Zum dritten ist Apollo auch gewesen ein Gott des Weissagens / und hat gehabt in der Stadt Delphis einen Tempel und ein Bild / welches von zukünfftigen Dingen geweissaget / und daher genennet worden Oraculum Delphicum. Von diesem seynd genommen die Arten zu reden / Apolline dextro aliquid facere, glücklich etwas verrichten: Apolline sinistro, unglücklich. Dieser Phœbus ist auch gewesen / zum vierdten ein gewaltiger Schütze / mit Bogen und Pfeilen / die er als Strahlen von sich geschossen. Daher die Poeten die Sonne und den Phœbum einen Führer der neun Musen nennen / davon auf eine andere Zeit.

7. Bacchus, sonsten genannt Lyæus oder Liber, oder Bromius, gebohren von der Semele, ein Gott des Weins und der Säuffer. Von ihm seynd herkommen die Bacchanalia oder Fastnacht-Spiele. Er hat allezeit aufm Esel geritten / und seinen getreuen Compan Silenum bey sich gehabt.

8. Mercurius ist ein Bothe aller Götter / mit geflügelten Füssen und Kopffe / in der Hand habend eine Ruthe / damit er die Seelen in die Hölle führet; Ist ein Patron der Kauffleute / welche daher genennet werden / Genus Mercurialium Virorum. Ihm wird auch zugeeignet die Beredsamkeit.

9. Æolus ist ein Gott der Winde / welche er in einem ledern Sack verschlossen hält / und auslässet /wann sie wehen sollen.

10. Pan und Satyri, seynd Götter der Hirten / und[148] des Sackpfeiffens / wunderlich gestalt / mit Ziegen-Füssen / gantz rauch von Haaren / Hörner aufm Haupt habend, lange Ohren / und ein heßlich Gesicht. Satyra ist ein Gedichte / darinn man der Leute spottet. Satyricus ist ein Spötter.

11. Lar oder Lares, item Penates, seynd Götter /die allezeit in einem Hause ihre bleibende Stätte behalten / und nimmer von dannen weichen. Daher dann auch eines jeglichen Menschen eigene Wohnung oder Hauß Lares oder Penates genennet wird.

12. Genius ist ein Gott / der mit dem Menschen gebohren wird / oder der da machet / daß man gebohren werde. Ein jeglicher Mensch hat seinen eigenen Genium, der auf ihn wartet: Ja auch eine jegliche Stadt und Land. Diesen Genium haben die Alten / ein jeglicher seinen / sehr wohl gepfleget / und ihm viel zu gut gethan / daher auch noch heut gebräuchlich seyn die Phrases: Curare Genium: Indulgere Genio, sich etwas zu gute thun / und sich wohl tractiren: Defraudare Genium, das ist / klärlich und sparsam leben.

13. Ganymedes ist ein kleiner Knabe gewesen /und vom Jove aufm Adler in dem Himmel geführet: Allda er dieses Amt bekommen / daß er den Göttern hat müssen fürm Tische aufwarten / und ihnen einschencken ihren Nectar / das ist der Götter Tranck /und auftragen Ambrosiam / das ist / Götter Speise.

14. Priapus, der höltzerne Gott / mit seinen abscheulichen grossen Gliedmassen / ist ein Bewahrer der Gärten / dahin er gesetzt ward / daß er dieselbige /und derer Früchte bewahren solte für den Dieben.

15. Sylvanus und Fauni seynd Wald- Geister oder Götter / Patronen der Bauren und Ackerleute / eben[149] so gestalt / mit gehörneten Köpffen und Ziegen-Füssen /als die Satyri.

16. Prometheus ist ein Erfinder gewesen vieler Künste. Dieser hat den ersten Menschen gemacht /sagen die Poeten.


Poeten seynd rechte Lügner. Die Nahmen der Götter und all ihr Wesen ist lauter erdichtetes Ding.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 146-150.
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