86. Die fürnehmsten Göttinnen der Heyden.

[150] Nachdem wir erzehlet etliche von den Göttern: Als wollen wir auch besehen die fürnehmsten unter den Göttinnen.

1. Juno ist des Jovis Schwester und Ehe-Frau zugleich. Eine Vorsteherin des Ehestandes. Daher Junonia Sacra eben so viel ist / als Hochzeit / oder Ehestand; und wird Juno Pronuba genannt / weil sie die Ehe gemacht.

2. Minerva oder Pallas ist die Göttin der Weißheit / des Verstandes und des Studirens / quasi minuens nervos, oder nimis enervans. Dann nichts ist / das einem die Kräffte so viel wegnimmet / als das unzeitige Studiren. Daher gebräuchlich seyn die Phrases: Pingui vel rudi Minerva, das ist / nur schlecht gemacht ohne Subtilheit. Item; Invita Minerva, wann einer wieder seine Natur etwas thun will mit Gewalt /da er keine Zuneigung zu hat. Minerva ist aus des Jovis Haupt oder Hirn gebohren / und hat nicht können heraus kommen / ehe Vulcanus mit seinem Beile dem Jovi den Kopff aufgespalten: Sie ist aber gantz gewapnet auf die Welt kommen / und hat einen Schild allezeit in der Hand getragen / Ægis genannt. Wann sie denselben hat gereget / so hat alles gezittert / was sie nur hat angesehen.[150]

3. Musæ, seynd neun Göttinnen / mit folgenden Nahmen: Urania, Polyhimnia, Terpsichore, Clio, Melpomene, Erato, Euterpe, Thalia, Calliope. Sie haben gewohnet auf dem Berge Parnasso oder Helicon, und nichts anders gethan / als daß sie die Music und freyen Künste getrieben. Daher sie Patroninnen seynd aller Philosophen und Gelehrten. Sie seynd allezeit Jungfrauen geblieben / und haben für ihren Beschützer gehalten den Apollinem.

4. Venus und ihr Sohn Cupido herrschen über die Liebe / und zwar Venus ist für die schönste Göttin gehalten worden; Daher noch alle schöne Weibs-Personen Veneres genennet werden. Die Buhler oder Liebhaber ruffen niemand öffter an / als Venerem und Cupidinem. Cupido ist ein kleiner Knabe / gantz nackend und blind / aufm Rücken einen Köcher voll Pfeile führend / in der Hand habende einen Bogen / damit er der Menschen Hertzen verwundet / und zur Liebe beweget.

5. Charites, zu Latein Gratiæ, seynd an der Zahl 3. gewesen / Euphrosine, Aglaja, Thalia: Haben einander immerdar bey der Hand gehalten / und seynd allezeit frölich gewesen / davon in der 73. Satzung etwas gesaget.

6. Ceres eine Göttin des Getreides / (daher kömmt Cerevisia, als sagte man Cereris vis: dann das Bier wird vom Korn gebrauet:) des Brods und allerley Kost. Von dannen rühret her das Sprichwort: Sine Cerere & Libero friget Venus, das ist / ohne leckere Speisen / ohne Bier oder Wein / kan man der Liebe nicht pflegen. Liber oder Bacchus ist / wie gesagt /ein Gott des Weins. Der Cereris Heil. Fest ist geheissen Sacra Eleusinia, welches so geheim gehalten /daß[151] kein Mensch ein einiges Wort hat davon nachsagen dürffen.

7. Thetis, eine Göttin des Wassers / wird offt genennet an statt des Wassers / wie aus diesem Vers zu sehen:


In cratere meo Thetis est conjunct a Lyæa,

(Id est vino.)

Est Dea junct a Deo, sed Dea major eo.


Auf der Thetidis und Pelei Hochzeit hat die Eris den güldenen Apffel durchs Fenster geworffen / davon wir anderswo geredet.

8. Nymphæ werden genennet allerley Göttinnen /deren etliche wohnen und herrschen in den Wäldern und Bergen / genannt Oreades, Hamadryates; Etliche in Flüssen / geheissen Najades.

9. Pandora ist gewesen die allerlistigste Göttin /also genannt / weil sie von den Göttern mit allen Künsten begabet war; Derselben Pandoræ gab der Gott Jupiter eine Büchse / darinnen verschlossen war alles Unglück / daß je einem Menschen betreffen konte / und schickte sie hiemit nach dem Epimetheo. Wie Epimetheus die Büchse aufmachte / da flohe heraus alles Unglück / und breitete sich über die gantze Welt. Wie solches Epimetheus sahe / machte er aufs letzte den Deckel der Büchsen wieder zu / und blieb nichts mehr darinnen / als nur allein die Hoffnung.

10. Flora, eine Göttin der Blumen.


Die alten weisen Heyden haben unter diesem Nahmen grosse Klugheit verborgen. Durch den Vorwitz unserer ersten Eltern ist der Tod und alles Unglück auf uns kommen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 150-152.
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