87. Die Unter-erdischen Götter und Göttinnen.

[152] Die Poeten haben erdichtet / daß die Göttinnen / Parcæ geheissen / Macht habe über eines jeglichen Menschen Leben / welches sie an einem Faden spinnen / und hernach abschneiden; Auch solches längern und verkürtzen nach ihrem Gefallen. Die erste unter den Parcis, Clotho, drehet das Rad um: Die andere /Lachesis, ziehet mit der Hand die Wolle aus / und Atropos schneidet den Faden ab mit einer Scheer /lang oder kurtz / nachdem der Mensch lang oder kurtz leben soll. Hievon ist dieser Vers:


Clotha colum bajulat. Lachesis net & Atropos occat.


Ferner fügen die Poeten auch dieses hinzu; Wann ein Mensch sterbe / so gehe die Seele in einen besondern Ort / und komme erstlich an die Flüsse Acheron, Styx und Lethe, das ist / (Vergessenheit.) Niemand aber könne hierüber kommen / es müsse ihn dann Charon, der untererdische Schiffer / in einem kleinen Kahn herüber setzen. Diesem Charonti geben die Seelen einen Pfennig fürs Fuhr-Lohn: Dahero die alten Römer ihren verstorbenen Freunden einen Pfennig ins Maul geleget / dein Charonti zu geben / wann die Seelen würden hinunterwerts fahren. Hieher kom men die Sprichwörter: Alterum pedem habere in cymba Charontis, gilt eben so viel / als dem Tode nahe seyn: Charonti naulum persolvere, das ist / todt oder gestorben seyn. Wann nun die Seelen von dem Charonte übergeführet wären / (sagten sie) so kämen sie an das Hauß des Höllischen Gottes Plutonis, welches Thier der dreyköpffigte und Feuerspeyende Hund Cerberus bewahrete. Daher Plutonis Hauß-Frau ist Proserpina: Dahero bey den Scribenten ædes Plutoniæ,[153] nichts anders ist / als die Hölle. Von dannen waren zween Wege / einer nach den Elisischen Feldern / der andere nach dem Tartaro. Die Seelen / welche sich wohl und löblich gehalten / wurden durch den Gott Mercurium geführet auf das Elisische Feld /das ist / ins Paradieß. Hingegen die übel gehandelt hatten / wurden gebracht in den Tartarum, das ist / in die Hölle / und allda erstlich von den Richtern der verstorbenen Rhadamonto und Minoen, verurtheilet: Hernacher gemartert und geplaget von den Furien oder Eupimenidibus, welche auch Erinnes genennet werden. Diese waren drey erschreckliche Weiber / an statt der Haare einen Hauffen Schlangen auf dem Haupt habend / mit Nahmen Thisiphone, Alecto, Megæra. Daher man noch heut zu Tage ein böses Weib eine Furie, oder Megæra, oder Erinnys nennet: Also seynd in der Höllen gewesen / und haben ihre Straffe ausgestanden / der Ixion, welcher ein eisern Rad immerdar umdrehen muste; Der Sisyphus, welcher immer einen grossen Mühlstein auf einen hohen Berg weltzete / der doch alsbald wieder herunter lieff. Daher das Sprichwort: Saxum Sisyphium volvere, das ist / eine schwere Arbeit / die nimmer zum Ende kömmt / verrichten. Der Tantalus, welcher biß zum Munde im Wasser stunde / und über seinem Kopffe hangen hatte allerley schöne Aepffel / aber davon nicht essen / noch von dem Wasser trincken konte /sondern immerdar Hunger und Durst leiden muste. Diesem Tantalo werden verglichen die Geitz-Hälse; die zwar grosse Güter haben / aber ihrer nicht geniessen. Der Titius, dem die Geyer die Leber aus dem Leibe frassen / und so viel darvon gegessen ward / so viel wuchs immerdar wieder dazu.


[154] Es ist der alte Bund / Mensch du must sterben. Die Seelen der Abgestorbenen werden entweder von den Engeln in das Paradieß getragen: Oder sie kommen auch in den höllischen Pfuel / da sie ewig werden gequälet.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 152-155.
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