95. Der König [164] Midas mit Esels-Ohren.

[164] Midas ist gewesen ein König / der reichste zu seiner Zeit: Dabeneben aber der Geitzigste. Denn wie ihm von den Göttern vergönnet war / was er wünschen würde / das solte er erlangen. Da hat Midas gewünschet / daß alles / was er anrührete / solte zu Gold werden. Solches haben die Götter ihm zugelassen und gegeben. Wie er nun hat essen wollen / und das Brod / Fleisch / Wein und andere Speise angerühret / da ist alles zu Gold worden / und hat Midas nichts davon geniessen können. Hat derhalben gesehen / daß er ohne Zweiffel würde Hungers sterben / wo die Götter seinen thorhafftigen Wunsch nicht würden ändern und abschaffen. Nun haben ihm auch die Götter hierinn gewillfahrt. Und ist Midas also wieder auf sein voriges Wesen kommen. Es träget sich aber zu / nicht lange hernach / das Phœbus, ein Gott der Music / mit dem Pfeiffer und Wald-Gespenste Pan, in Seitenspielen und Singen stritt / darinn sie den Midam erwehlten zu einem Richter und Scheidemann. Midas, nachdem er eine Weile diesen beyden und ihrem Gesange zugehöret / hat als ein unvernünfftiger grober Tölpel das Urtheil gesprochen / und den elenden Pfeiffer Pan dem Phœbo vorgezogen. Derowegen der Gott Phœbus ihm zur Straffe alsobald aus dem Kopffe grosse lange Esels-Ohren wachsen lassen / die er dennoch meisterlich hat wissen für Fremden zu verbergen und zu verhüllen / ausgenommen für seinem Balbierer /der es gemercket und ferners unter die Leute gebracht. Von diesem Mida kömmt das Sprichwort / er hat Midas. Ohren / das ist / der Mensch ist eben so ein grober Esel als Midas.


Allen Geitzhälsen gehets wie Midas / die bey ihrem grossen Gelde und Gut auch Hunger leiden. Noch heute zu Tage haben[165] viele Menschen Midas Ohren und Sinn: Halten einen groben Pfeffer-Sack höher als einen hochgelehrten Mann.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 164-166.
Lizenz:
Kategorien: