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[700] Ein frommer Bischoff hatte eine sehr böse Mutter /welche gar nicht konte zur Busse gebracht werden /sondern alles biß auff das Todt-Bette und ihre letzte Hinfarth versparen wolte. Weil denn der Sohn mit stetigem Erinnern und Anhalten diß Orts bey ihr nichts ausrichten konte / bat er sie auf eine Zeit zum Nacht-Essen / und gieng sie / samt etlichen Dienern / da es bereit gantz finster war / sie selbst abzuholen / verboth aber den Dienern einig Licht anzuzünden / oder einige Laternen mitzunehmen / und[700] gieng nebenst der Mutter daher. Weil nun nicht allein viel Steine / sondern auch ein gefährlicher Graben / darüber ein schmaler Steg / unterwegens war / darum die Mutter offt angestossen / und sich hoch befürchtet / daß sie unversehens gar in bemeldten Graben fallen möchte /ward sie gegen ihrem Sohn sehr unlustig / und begehret gar ernstlich / daß er doch ein Licht anzünden lassen wolte. Ob nun wol der Sohn ihr gar freundlich zusprach / und sie vertröstet / daß / wann sie zu dem Graben kommen / er schon ein Licht zu bringen verschaffen wolte / auff daß sie den Steg recht treffe: Gab doch die Mutter gantz zornig zur Antwort: Daß man bey solcher Finstere / den Graben nicht sehen / und vielleicht / ehe das Licht angezündet / sie darein fallen möchte. Da hat der Sohn mit Freuden ihr zugesprochen: Daß sie eben dieses in Anstellung ihres gantzen Lebens wol mercken / bey Zeiten Busse thun / und dieses nicht biß auf die letztere Sterb-Stunde ankommen lassen wolte / in Betrachtung selbige gar ungewiß / und wol geschehen könte / daß sie damit unversehens übereilet würde.
1. Fromme Kinder haben offt gottlose Eltern.
2. Viele seyn sorgfältig für den Leib / und nicht für die Seele.
3. Spare deine Busse nicht / biß du kranck wirst / sondern bessere dich / weil du noch sündigen kanst.