56. Undancks-Glöcklein.

[714] Philippus Camerarius Cent. 1. Horar. Succis. cap. 11. erzehlet eine wunderliche Legenda von etzlichen Heidnischen Völckern / welche diesen Gebrauch gehabt / daß wann einer undackbare Leute für dem weltlichen Gericht verklagen wolte / er ein sonderbares darzu verordnetes Glöcklein anziehen muste. So[714] bald nun mit denselbigen ein Zeichen gegeben worden /kamen etliche Raths-Herren zusammen / und begehrten die Sache zu erkundigen / und wann sie befunden /daß der Kläger rechtmäßige Ursach zu klagen gehabt / haben sie demjenigen / so wegen der Undanckbarkeit verklaget worden / auffgeleget / daß er bey hoher Straffe dem Kläger reiche Vergeltung thun / und sich gegen denselben danckbar erzeigen soll. Nun hat es sich begeben / daß einer sein Pferd lange Zeit zu seinem Dienst gebraucht / also daß es endlich wegen hohen Alters und stetiger Arbeit / blind / hinckend /lahm und zu allen Dingen unnützlich worden: Deßwegen der Herr selbiges aus dem Hause gestossen / daß es sein gewöhnliches Futter nicht mehr hatte / auff den Gassen von den grossen Fliegen muste gebissen und gefressen werden. Das alte Pferd hincket allenthalben herum / suchte einen schattichten Ort / und kam in eine Capell (vermeynet es wäre ein Stall) dar inn war eine Glocke / an deren Seil schöne Weiden von grünen Blättern gehangen / es schnappet darnach / und beweget die Glocke / daß sie ein lautes Zeichen gabe. Alsbald kamen wie gebräuchlich / etliche Richter / und wolten sehen / wo der Kläger des Undancks wäre; Und da sie niemand sahen / als diesen lahmen blinden Gaul / lassen sie denselben zu sich führen /den Herrn holen / und befahlen ihm mit ernstlicher Drohung / daß er sein altes wolverdientes Pferd wieder zu sich nehmen / ihm sein gewöhnliches Futter geben / und selbiges nicht anders halten soll / als wann es noch jung / gesund / starck und zu seiner Arbeit tauglich wäre / etc.


1. Solte man heut zu Tage über alle undanckbare ein Glöcklein ziehen / würde es selten stille stehen.

[715] 2. Wann du einen Undanckbaren nennest / so hast du ihm alle Schande angethan / sagt Seneca.

3. Danckbarkeit ist eine schöne Tugend.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 714-716.
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