64. Von einem frommen [722] Theologo, der von einem armen Bettler den Himmels-Weg gelernet.

[722] Es schreibet Taulerus von einem gottseligen Theologo, der hahe 8. gantzer Jahr mit unauffhörlichen Seufftzen bey lieben GOtt angehalten / er wolle ihm doch einen Menschen zeigen / von dem er den rechten Weg und Steg zum Himmel erlernen möchte. Endlich habe er eine Stimme gehöret / die habe zu ihm gesprochen; Er soll zur Kirchen gehen / da werde er für der Tühre einen antreffen der ihn seiner Bitte gewähren solt. Als er nun zur Kirchen kommt / sitzt ein armer Bettler da mit zurissenen Kleidern: Er grüsset ihn / und spricht: GOtt geb dir einen frölichen Morgen. Der Bettler antwortet: Ich weiß mich nicht zu erinnern / daß ich iemahln einen traurigen Morgen gehabt hätte. Ey / sprach der Theologus: Daß dir GOtt viel Glück beschere / was redestu? Der Bettler antwortet: Hab ich doch nie kein Unglück gehabt. Der Theologus wuste nicht / wie er mit ihm dran war /und bat / er wolte ihm doch solches ein wenig besser erklären. Da sprach der Bettler: Ja / das will ich gern thun. Du wünschest mir einen frölichen Morgen / so spreche ich / ich habe nie keinen traurigen gehabt /das ist wahr. Denn wann mich hungert / so lobe ich GOtt / wann mich frieret / so lobe ich GOtt / es regne oder schneye / es donnere oder blitze / es sey Wetter wie es wolle / so lobe ich GOtt / das ist die Ursach /daß mir nichts trauriges begegnen kan. Du wünschest mir / daß mir GOtt viel Glücks wolle bescheren / so spreche ich: Ich hätte noch nie kein Unglück gehabt /das ist auch wahr. Denn ich weiß mich GOtt zu ergeben / und bin deß gewiß / daß er nichts böses thut. Was mir nun GOtt wiederfahren lässet / es sey süß oder sauer / Freud oder Leid / Glück oder Unglück /das[723] halt ich vor das Beste / und nehme es mit Freuden an / denn es muß doch denen / die da GOtt lieben /alles zum besten gereichen. Der Theologus verwundert sich über diesen des Bettlers Discurs, und fragte weiter: Was woltestu thun / wenn dich GOtt in die Hölle verstossen wolte? Ja in die Hölle verstossen? Sprach der Bettler: Das wird er wohl nicht thun /wolte ers aber thun / so habe ich zween Arm; den Arm des Glaubens / und den Arm der Liebe / damit wolte ich ihn angreiffen und so feste halten / daß er mit hinunter in die Hölle fahren müste. Da könte mir denn nicht weh oder übel seyn / denn ich will lieber in der Hölle mit GOtt seyn / als im Himmel ohne GOtt.


1. Unter Armen und Bettlern findet man offt die besten Christen.

2. Man soll sich nicht schämen von geringen Leuten was zu lernen / dadurch man könne frömmer werden.

3. Am guten Tage sey guter Dinge / und den bösen Tag nimm auch vorlieb.

4. Unsern willen müssen wir gantz und gar in den Willen GOttes ergeben.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 722-724.
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