99. Von dem Mahler [759] Timanthe.

Es schreibet Plinius der berühmte Naturkündiger Lib. 35. cap. 10. von dem fürtrefflichen Mahler Timanthe, als derselbige die traurige Historie von Aufopfferung Iphigeniæ, der Tochter Agamemnonis, abmahlen solte / habe er etliche Personen gemahlet / die mit weinenden Augen und traurigen Gebehrden dem Spectacul zugesehen. Als er aber endlich an den Vater kommen / habe er ihm eine schwartze Trauer-Binden um sein Angesicht gemahlet / und des dabey verbleiben lassen. Als er nun gefraget worden / warum er solches thäte? Habe er geantwortet: Es wäre ihm unmöglich / daß er die Traurigkeit des Vaters oder des väterlichen Hertzens gnugsam abbilden könte. Womit der Timanthes hat wollen anzeigen / daß zwar auch die Freunde einander betrauren; Doch keine grössere Traurigkeit seyn könte / als wann die Eltern müssen sehen / wie ihre Kinder dahin gehen / sterben und erwürget werden.


[759] 1. Todten soll man betrauren.

2. Mahlwerck ist nur Schattenwerck.

3. Der Eltern Trauren über ihre Kinder geht von Hertzen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 759-760.
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