13. Ein Abt füllet zwey Säcke mit Sand.

[775] Daß mancher den Splitter / das ist / die geringen Fehler und Gebrechen sehe in seines Nechsten Auge; Aber des Balckens / das ist / der grossen und schweren Fehler in seinem eigenen Auge nicht gewahr werde / das hat ein frommer Abt einsmals gar artig vor Augen gelegt. Derselbige ließ bringen einen grossen Sack / füllete denselbigen mit Sand / und nahm ihn auf den Rücken: Ingleichen ließ er bringen einen kleinen Sack / und nachdem er ihn mit Sand befüllet /behielt er den in den Händen / und sahe ihn scharff an mit den Augen. Als nun solches die andern Brüder des Klosters sahen / fragten sie / was er damit meynete? Antwortet er: In dem grossen Sack sind meine Sünden / derer seyn viel / die fasse ich auf den Rücken / damit ich sie nicht sehe. Aber in dem kleinen Sack sind anderer Leute / oder meines Nechsten Gebrechen / die sehe ich für mir / und hebe an meinen Nechsten zu richten und zu urtheilen / welches doch unrecht ist / und Christen nicht gebühret.


Es ist nichts gemeiners in der Welt / als andere Leute urtheilen und richten. Ein jeder sehe auf sich / so wird er wol seines Nechsten vergessen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 775.
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