21. Vom Sprichwort: [783] Vindicta Lycurgi.

Plutarchus in Apophtheg erzehlet folgendes von dem fürtrefflichen und um das gemeine Beste wolverdienten Man Lycurgo. Ein frecher und allen Bubenstücken ergebener Jüngling / hatte aus lauterm Frevel und Muthwillen dem aufrichtigen und nur mehr alten und greisen Lycurgo das eine Auge verletzt und ausgeschlagen. Was konte verwegeners? Was konte erschrecklichers von so einem stoltzen Jüngling verübet werden? Hätte er auch können einem so redlichen und aufrichtigen Mann was schimpfflichers beweisen? Wie es vor den Rath und Magistrat der Stadt gekommen / wird geschlossen / man solte dem beleidigten Lycurgo den muthwilligen Schander übergeben / selbigen nach eigenem Belieben und Wolgefallen zu straffen. Was meynet ihr wol / was dieser Atte gethan? Vielleicht hat er diesen verwegenen Jüngling in ein grausames Gefängniß geschmissen? Nein. Vielleicht hat er ihm die Hand / damit er ihm sein Auge ausgestossen / abhauen und ihm dieselbige[783] zum Schimpff an den Halß hencken lassen? Nein. Vielleicht hat er ihm beyde Augen ausgerissen / und ihn zum Spott den andern Spießgesellen übergeben? Nein. Vielleicht hat er ihm einen schmählichen Tod angethan / damit ein solcher Unflath niemand weiter betrüben und beschimpffen möchte? Nein. Was hat er dann immermehr mit seinem Feind vorgenommen? Höret eine gantz wunderbare Weise sich zu rächen /vernehmet eine unterhörte Art der Tortur und Straffe. Der gute Alte / nachdem ihm sein Feind in seine Hände war gelieffert / hat er denselbigen bey der Hand ergriffen / mit sich nach Hause genommen / ihn in guten Sitten und Tugenden unterrichtet und gewiesen / wie er seinen Muthwillen solte brechen und frömmer leben. Hat ihn auch / nachdem er einen andern und frömmern Menschen aus ihm gemacht / vor den Rath gestellet / und den also angeredet: Einem standhafftigen und großmüthigen Mann gebühret keine andere / dann diese Rache von seinem Feinde zu nehmen. Dieß hat Ursach gegeben zu dem abgesetzten Sprichwort: Vindicta Lycurgi. Welches gebraucht wird von denen / die ihren Feinden gutes thun.


O Christen! O Christen! was gedencken wir / die wir offt für Zorn und Rache brennen? wird nicht dieser am Jüngsten Tage viel tausend rachgierige Maul-Christen beschämen. O rächet euch selbsten nicht meine Liebsten.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 783-784.
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