89. Nutzbarkeit und Wunderding / auch Gefährlichkeit der Brieffe.

[860] Von den Egyptiern lieset man / daß sie ihre Gemüths-Meynung durch nachdenckliche Sinn-Bilder an den Tag gegeben / unter andern ihre Egyptische Buchstaben selbsten zu bedeuten / haben sie gemahlet ein Dintenfaß / ein Rohr und ein Sieb. Dann mit dem Rohr schrieben sie / dieweil sie keine andere Federn hatten. Das Sieb lehrete / daß dieser Werckzeug erst aus Rohren gemacht / das Meel[860] dadurch zu beuteln; Item, daß die so der Schreiberey obliegen / ihre Nahrung wol davon haben mögen / und keiner andern Arbeit abwarten dörffen. Wie nun alle Schrifften für ein recht Wunderwerck zu halten / also mögen wir billich die Brieffe ansehen. Das ist 1. ein wunderliches Werck / daß / da etliche Zeichen / das ist Buchstaben / aus dem A b c auf dem Papier geschrieben stehen /die äusserliche Augen sie ansehen / und gleich darauf das innerliche Gemüth wissen soll / was GOtt rede /was die Menschen sagen und wollen / was in weit abgelegenen Oertern geschehen. Es ist 2. ein holdselig Ding / es können die Abwesende durch kein stärckers Band / als durch Brieffe in Freundschafft erhalten werden / wie Antonius de Gvevarra meldet / daß eines vertrauten Freundes Schreiben den Geist erfreue / die Augen erfrische / das Hertz belustige / Freundschafft bestätige / und den Verstand schärffe. Dahero ein bekanntes Rätzel aufgegeben wird: Ach lieber Räther sag mir an / was ist doch dieses für ein Mann /der einem Menschen weit entlegen / mir in die Nähe bringt zuwegen / daß ich mit ihm kan reden frey / der doch viel Meilwegs von mir sey? Ist ein Schreiber /der einen Brieff schreibet / durch welchen wir die Abwesende anreden / und auch ihre Antwort hören und vernehmen. Es ist aber auch 3. ein gefährliches Ding /da man behutsam handeln muß / dann man dadurch offt in grosse Ungelegenheit kommen kan. Barnabas /der Fürst zu Mayland / hat Pabst Urbanum V. gezwungen / daß er / als er noch nicht Pabst war / und ihm von dem vorigen Pabst ein angenehmes Schreiben brachte / solches essen müssen.


[861] GOtt ist ein wunderbahrer GOTT in allen seinen Wercken. Das beste und edelste Ding kan mißbraucht werden / da muß es heissen: Tollatur abusus & maneat usus.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 860-862.
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