98. Frage und Streit / so über das Schiff [873] Thesei vorgefallen ist.

Alexander ab Alexandro Dier. Genial. Lib. 3. c. 1. erzehlet / daß über das Schiff Thesei, damit er nebst den andern Argonauten in Cretam ist gefahren / ein grosser Streit und Disputation sich erhoben. Dieses Schiff soll noch zu Athen biß auf Demetrii Phalerei Zeiten in Verwahrung gewesen seyn / indem[873] man allemal die alten verfaulten Bretter hinweg genommen /und an derer Stelle neue wieder angemachet. Deßwegen hat sich zwischen den Legisten und den Philosophis eine Frage erhoben / ob das Schiff durch die viele Veränderung der Bretter sey eben dasselbige allezeit geblieben / und ob es dasselbige Schiff zu nennen sey? Und es ließ / als wann es dasselbige geblieben / weil es allezeit blieb bey einer Form / auf anderer Seite wendete man ein / daß es nicht ein Schiff verblieben / weil es nicht eine Materie behalten / die es zuvor gehabt. Die Legisten sagten und behaupteten / daß es ein Schiff allezeit verblieben wäre: Denn wie eine Heerde / nach dem Ausspruch Ulpiani, verbleibet / obgleich nach Absterben eines Viehes an derer Stelle andere beygeschaffet werden: Also obgleich neue Bretter an statt der alten am Schiffe Thesei gefüget / so sey es nichts destoweniger ein Schiff zu nen nen / weil die vorige Form und Gestalt noch da gewesen. Aber die Philosophi, die mit grossem Fleiß dieser Frage nachdachten / die wendeten ein / es wäre ein ander Schiff zu nennen / weit von dem ersten unterschieden. Denn ob es gleich hätte die vorige Form und Gestalt / so bestünde es doch aus einer andern Materie. Denn gleichwie das Römische Volck / ob es gleich noch lebe in derselbigen Stadt / darinn die Vorfahren / so wären es doch nicht dieselbigen Völcker /die vor diesem da gewohnet; Denn es ja weit andere darinn gebe / als zuvor: Also hätte es auch mit dem gedachten Schiffe des Thesei eine Beschaffenheit.


Es erhebet sich offt ein Streit über ein Ding / da man es nicht gemeynet hätte. Der streiten will / muß deutlich seine Meynung offenbahren / damit nicht der eine schwartz / der[874] ander weiß rede. Der eine von der Wind-der ander von der Wasser-Mühlen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 873-875.
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