22. Einem Bauren widerfähret Fürstliche Ehre.

[901] Als Philippus Bonus, welcher gestorben Anno 1467. ein Fürst in Niederland einsmahls gegen die Nacht /nach dem Abend-Essen / mit etlichen fürnehmen Dienern und Freunden / durch die Stadt spatzieren gieng /ward er ansichtig einen trunckenen Mann / aus dem gemeinen Volck / mitten auf dem Marckt liegend /und fest schlaffend / an diesem wolte er versuchen /und erfahren / was die Freude und Kurtzweile unsers Lebens wäre / davon sie bißweilen mit einander geredt hatten / befahle / man solte den trunckenen Menschen schlaffend in seinen Fürstlichen Pallast tragen /in ein Fürstlich Bette legen / des Hertzogen Nacht-Haube auf sein Haupt setzen / sein unflätig Hembde ausziehen / und in ein anders von gar kleiner Leinwand anziehen. Gegen Morgen da er erwachet / musten da aufwarten die edlen Knaben und Kämmerlinge des Hertzogen / welche nicht anders / als ihren Fürsten ihn fragten / ob er wolte aufstehen / und wie er sich wolte den Tag anthun und kleiden. Man brachte hervor des Hertzogen Kleider. Der Mensch verwunderte sich / daß er an dem Ort wäre. Er wurde angezogen / und als er aus der Schlafkammer gieng / waren allda die Räthe und Hof-Diener zur Stelle / die führten ihn in die Schloß-Capelle / da er die Messe hörte /der[901] Priester gab ihm das Buch zu küssen / nicht anders / als wie dem Hertzoge selbst. Nach gethaner Messe führte man ihn zu einem herrlichen und Fürstlichen Mahl: Nach gehaltener Mahlzeit brachte der Kämmerling etliche Rümpff-Karten und einen Sack mit Gelde / da kurtzweilte er eine Weile mit den fürnehmsten Herren. Und den Abend führte man ihn spatzieren in den Lust-Garten / da jagte er etliche Haasen / und fieng etliche Vögel auf dem Vogel-Heerde / darnach ward das Abendmahl nichts weniger / als das Mittags-Mahl herrlich gehalten. Als man Lichter angezündet / wurden herbracht allerley Instrumente von der Musica / da waren Jungfrauen und Hof-Junckern am Tantze / man spielte Comödien /und trieb allerley Kurtzweil / und währete also solch Wolleben und Zechen in Frölichkeit biß tieff in die Nacht. Er aber / dieweil er des köstlichen und starcken Weins eine gute Nothdurfft überflüßig zu sich genommen / fiel wiederum in einen tieffen Schlaf / als vorhin. Da befahl der Hertzog / ihm wieder seine vorige Kleider anzuziehen / und ihn an den Ort zu tragen / wo er zuvor war aufgenommen worden / da er denn die gantze Nacht gelegen und geschlaffen. Des andern Tages hernach / da er aufwacht / fängt er an das Fürstliche Leben bey sich zu bedencken / und weiß nicht / obs in der That also ergangen wäre / oder obs ihm geträumet hätte. Endlich da ers hin und wie der und auf allen Ecken bedacht / kont er anders nicht schliessen / als daß es müste ein Traum gewesen seyn / erzehlet es auch seinem Weibe / Kindern und Nachbarn als einen Traum.


Das menschliche Leben ist nichts anders als ein Traum. Die guten Tage vergehen bald.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 901-902.
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