22. Warum der Hahn krehe / wann der Tag anbricht.

[540] Mir ist nicht unbewußt / daß vielerley Gründe von den Naturkündigern sind aufgezeichnet / warum der Hahn mehrentheils nicht des Abends / sondern des Morgens / so bald die Sonne aufgehet / und der Tag anbricht / seine Stimme hören lasse. Ob nun zwar dieselben Gründe der Wahrheit nicht unähnlich seyn / so wil ich doch zu diesem mal eine andere Poetische Ursach / genommen aus dem Ovidio im 2. Buch von der Kunst zu lieben / der hieroben angezogenen Ursachen anhencken.

Die schöne Venus hatte zum Ehemann den schwartzen und hinckenden unflätigen Vulcanum, zwischen diesen war wegen der grossen Ungleichheit wenig Liebe: Darum /[540] als Vulcanus in seiner Schmiede (oder Schmidts Werckstatt) bey dem Amboß geschäfftig war / buhlete Frau Venus mit dem Marte und damit immittelst niemand dazu käme / und insonderheit die Sonne / welche dem Vulcano sehr günstig war / diese ungebührliche Gemeinschafft nicht erführe / hat Mars einen feinen Jüngling / Hahn geheissen /zum Thürhüter gestellet. Aber Herr Hahn entschlieff /und die Sonne merckte die Possen / und zeigte dem Vulcano an. Diese Hinläßigkeit und Faulheit des Jünglings verdroß dem Martem hefftig / verwandelte ihn derowegen in ein Thier gleiches Nahmens. Daher annoch dieser Hahn / so bald er nur das geringste Licht von der Sonnen siehet herfür brechen / sich seiner vorigen Schlaffsucht und Unachtsamkeit erinnert /und durch seine Stimme und Krähen den Martem warnen wil / daß er sich für seinem Feinde und Verräther der Sonnen vorsehe und hüte / damit er nicht in seiner unziemlichen That ertappet werde.


Billig mögen wir wol vorsichtig und unsträfflich wandeln / daß die Sonne und andere Creaturen uns nicht wegen unserer Ubertretung bey GOtt dem HErrn anmelden und verklagen.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 540-541.
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