6. Wie [518] Teberius die Sterngucker / und insbesonderheit Thrasullum, versucht.

Wann der Käyser Tiberius die Sterngucker von zukünfftigen Dingen um Rath fragte / führete er sie auf einen hohen Thurn / der nahe am Meer lag / und nahm niemand mit sich / als nur einen starcken unverständigen Knecht. Wann nun der Sterngucker den Lauff der Sterne gnugsam beschauet / muste er zuvor herunter steigen / und folgete ihm der Knecht auf dem Fuß nach. Im Heruntersteigen aber muste er seine Meynung sagen über dem / worüber er[518] gefraget ward. Was nun dem Käyser bedünckte / daß der Sterngucker entweder aus Unwissenheit / oder aus Schmeicheley der Wahrheit verfehlete / so befahl er dem dazu verordneten Knecht / daß er den Astronomum vom Thurn hinab in das Meer stürtzete. Auf eine Zeit führte Tiberius den Thrasullum, seinen Lehrmeister in dieser Kunst / auch auf diesen Thurn: Wie sie nun wieder herunter stiegen / und Thrasullus dem Käyser / worüber er ihn fragte / antwortete: Sagte Tiberius endlich: Thrasulle, weist du auch / wann du gebohren /wie alt du seyest / und was dir an gegenwärtigem Tage begegnen wird: Thrasullus sahe an das Gestirn /fieng an betrübt zu werden / und sprach: Ich sehe aus dem Lauff der Sterne / daß es schlecht stehe um meine Sache / und daß dieser bey nahe der letzte Tag meines Lebens seyn werde. Da umfieng ihn Tiberius, rühmete seine Wissenschafft / und trauete dem allein / was ihm Thrasullus verkündigte / und hielt ihn hernach allezeit in grossen Ehren.


Schmeicheley und Falschheit ist grossen Herren nicht allezeit angenehm. Wissenschafft hat viele vom Tode errettet.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 518-519.
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