64. [598] Socratis Unterredung mit der Theodora.

Es war zu Athen in Griechenland ein schönes aber unzüchtiges / geiles Weib / Theodora genant / die warff dem weisen Socrati einmal für daß sie viel seiner Schüler an sich locken und ziehen / da hingegen Socrates aus ihrer Zucht und Schule nicht einen einigen zu seiner Unterweisung bringen und bewegen könte / schloß daher / daß ihr Orden weit besser und höher zuhalten sey / als der Weltweisen Leute. Socrates aber stopffte ihr das Maul / und widerlegte ihre falsche Einbildung mit nachfolgenden Worten: O Theodora, bilde dir ja nicht ein / und meyne nicht /daß du in einem glückseligen Stande lebest / oder daß deine böse Kunst und Lehre / dadurch du viel junge Leute verführest und an dich ziehest / und zwar mehr als ich / darum zu loben / für gut zu achten / oder zu entschuldigen sey: Dann der Weg / welchen du zeigest und lehrest und welcher zu dir führet / gehet unterwerts / und kan ein ieder / der auch sonsten zu hohen Dingen gantz untüchtig ist / denselben leicht herunter lauffen: Hingegen aber der Weg / welchen ich zeige und lehre / und welcher zur Tugend führet /gehet Berg an / und auffwerts / ist gar beschwerlich und verdrießlich zu steigen / daher es dann kein Wunder ist / daß ihrer viel abgeschreckt werden von dem selben abzuweichen / welche lieber ohne einige Mühe sich in deinen Abgrund stürtzen / als mit Verdruß und Ungemach meine Berge auffsteigen wollen.


Wir sind allesammt von Natur mehr zum Bösen / als zum Guten geneiget / daher komts / daß die Pforte weit ist / welche zur Verdammniß führet.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 598.
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