66. Eines Raben Leich-Begängniß.

[599] Es hat sich zu Rom einsmahls zu getragen / daß eine junge Rabe aus dem Neste in eines Schusters Hauß flog / welche der Schuster erzog / und lehrete sie die Leute grüssen / daher ward sie gewehnet auff den Marckt zu fliegen / grüsset den Käyser Tiberium, (dann zu dessen Zeiten ists geschehen) hernach auch Germanicum Drusium und die andern Leute und begab sich darauf wieder nach Hauß. Wie dieser nun die Rabe viel Jahr lang mit aller Leute Belieben und Wohlgefallen getrieben hatte / begiebt sichs ungefehr / daß sie einsmahls in des nechsten Schusters Hauß steiget / und demselben ein paar Schuh beschmeist und verunreiniget: Weil aber dieses denselben Schuster hefftig verdroß / ergreifft er den Leist / und schlägt den guten Raben den Kopff entzwey / daß er davon so bald starb. Als nun der Rath zu Rom solchen Frevel erfahren / ist der Raben-Mörder nicht allein der Stadt verwiesen / sondern auch hernachmahls noch gar umgebracht worden. Den Cörper der Raben aber hat der Rath herrlich und mit grosser Pracht begraben lassen: Denn es ward ein Bahre gemacht auff zweyer Mohren Schultern / darauff ward der Leichnam dieses Vogels gelegt: Voran ist gegangen ein Pfeiffer / welcher Klag-Lieder gespielet hat: Nebenher sind gefolget allerley vornehme Leute in grosser Anzahl / und haben den todten Vogel zum Holtzhauffen begleitet / allwo derselbe verbrant / und also mit einer viel ansehlicheren Leichenbegängniß geehret / als manchem Held / der sich ums Vaterland er unverdient gemacht hat / zu Rom wiederfahren ist: und solches Plinius erzehlet im 23. Cap. seines 10. Buchs.


[600] Grosse / und vornehme Leute begehen zuweilen Thorheit / wie in diesem Exempel der Römer zu sehen ist. Dann es ist ja grosse Thorheit / eine unvernünfftige Bestie einem vernünfftigen Menschen vorzuziehen. Aber es ist der undanckbaren Welt Lauff / daß sonderlich bey grossen Herren kurtzweilige Narrenpossen den besten Tugenden fürgezogen werden / und gilt offtermahls ein poßirlicher Hoff-Narr mehr / als ein tapfferer kluger Herr.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 599-601.
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