70. Exempel etlicher gelehrten Weiber unter den Heyden.

[606] Wer ohne vorgefasten Wahn und unpartheylich urtheilen will / der muß mit dem weisen Socrate bekennen / daß die Natur das weibliche Geschlecht nicht mit geringeren Gaben gezieret hat / als die Männer. Dann obschon die Weiber insgemein auch ihren Lastern / als der Schwätzhafftigkeit / Vorwitzes / grimmigen Zorns und dergleichen ergeben sind / so kan doch nicht geleugnet werden / daß gleich wie es unter denn Manns-Leuten viel ungeschickte und verkehrter Bößwichter giebt / also auch unter den Weibern noch jederzeit fromme und lobwürdige Personen gefunden werden. Und gleich wie in der vorigen Historie ein Exempel eines vorwitzigen schwätzhafften Weibes erzehlet ist / also will ich in dieser Historie zu ihrem Lob hinwiederum etliche Exempel lobwürdiger Weiber gedencken. Ich will aber hier nicht reden von Schönheit und Gaben des Leibes / nicht von Freundlichkeit und Sparsamkeit / oder andern häußlichen Tugenden / in welchen es die Weiber den Männern insgemein zuvor thun: Sondern nur vom Verstande /Weißheit und Gelehrtheit der Frauen will ich sagen /und mit wenigen Exempeln darthun / daß auch Weiber zu hohen Dingen tüchtig seynd / und nützlich können gebrauchet werden.

Vorn an und gleichsam an die Spitze stelle ich die Corneliam, welche nicht allein ihre Söhne die Gracchos von Jugend auff / selbst in freyen Künsten unterrichtet /[606] biß sie hochgelehrte Männer worden sind /sondern auch die Philosophie zu Rom öffentlich gelehret hat. Uber das ist sie so beredt / und in Sprachen erfahren gewesen / daß der Meister der Beredsamkeit Cicero selbst sich vor ihren Schüler bekennen müssen / auch alle berühmte Redner ihre Sprüche und Bücher offt anzuziehen und zu gebrauchen sich nicht geschämet haben.

Cassandra, des Trojanischen Königs Priami Tochter ist so gelehrt gewesen / daß die Lacedämonier /um ihrer Weissagungen und fürtrefflichen Tugenden halben / ihr zu Ehren einen eigenen Tempel aufgerichtet haben.

Cleobolina, des weltweisen Cleobuli einige Tochter / in der Insul Rhodis / ist so beredt und in der Philosophie erfahren gewesen / daß andere hochgelehrte Männer ihre Bücher offt zu Bestätigung ihrer Meynung angezogen haben.

Cleopatra, die Königin in Aegypten / (derer hiebevor gedacht ist) war so vieler Sprachen kundig / daß sie den Arabern / Ethyopiern / Ebräern / Syrern / Medern und unterschiedener anderer Völcker Bottschafften / welche an sie abgefertiget worden / einem jeglichen in seiner Sprache recht und zierlich wuste zu antworten / wie Plutarchus im Leben Antonii von ihr meldet. Sie hat auch in Griechischer Sprache etliche Bücher von köstlichen Salben und von der Chymischen Wissenschafft geschrieben / wie solche vom Alberto Magno angezogen worden.

Corinna Rhodia, bürtig aus der Insul Delia / welche gelebt hat zu den Zeiten Platonis, ist in der Poetischen Kunst so erfahren gewesen / daß man ihre Verse den Schrifften des berühmten Poeten Homeri gleich[607] geachtet / und den Versen des Pindari vorgezogen. Sie hat ein schön Gedicht von 300. Versen verfertiget / mit Verwunderung aller Gelehrten: Ist aber nur 19. Jahr alt worden.

Cumana Sibylla Amalthea hat so treffliche Weissagungen und Bücher geschrieben / daß sie im Römischen Reich vor Christi unsers HErrn Geburt / nicht anders als GOttes Wort sind gehalten worden. Der berühmte Sylla, von dem Römer das Sprichwort gebrauchen: Er regiere die Bürger mit der Zunge / die Feinde aber mit Spieß und Waffen: Hatte eine Tochter / Lælia Sabina, in Griechischer / und Lateinischer Sprache so geübt / und so verständig / daß sich der Vater dessen / was sie zu Hause verfertigte / mit grossem Lobe und Nutzen in wichtigen Geschäfften gebrauchte.

Alle diese hat meinem Bedüncken nach übertroffen die Themistoclea, welche den berühmten Mann und Fürsten aller Gelehrten Pythagoram selbst in allerley freyen Künsten unterwiesen hat / und dessen Lehrmeisterin gewesen ist.

Dieser aber weichet nicht die Aspasia, des Pythagoræ Tochter / welche nach ihres Vaters Todt / dessen Lehre wieder erwecket / öffentlich Schul gehalten / und die Philosophie gelehret hat. Sie ist wegen ihres hohen Verstandes und grosser Geschicklichkeit so berühmt gewesen / daß der weise Socrates selbst sich nicht geschämet hat / ihr Zuhörer zu seyn / und etwas von ihr zu lernen. Der treffliche Redner Pericles hat sie auch mit Lust und Verwunderung gehöret.

Diesen folget am nechsten nach die Aretha, des hochgelehrten Aristippi Tochter / welche in Griechischer[608] und Lateinischer Sprach / wie auch nicht weniger in den freyen Künsten so fertig ist / daß sie auch nach des Vaters Tod dessen Stelle vertreten / und die Philosophie und freyen Künste in die 25. Jahr lang auff der hohen Schul zu Athen öffentlich gelehrt /auch bey 110. Zuhörer gehabt hat. An Gelehrtheit hat sie es dem klugen Socrati fast nachgethan / daher man zu ihrer Zeit gesagt hat / Socratis Geist wäre in die Aretham gefahren. Sie hat 13. oder wie andere wollen / 40. Bücher geschrieben. Ist gestorben im 77. Jahr ihres Alters / und haben die Athenienser auf ihr Begräbniß schreiben lassen: Hier liegt die grosse Aretha, welche ein Licht des gantzen Griechenlandes gewesen ist.

Ich muß hier viele Kürtze halber vorbey gehen / als die Lasthemiam und Axiotheam, welche der gelehrte Plato höher als alle seine Schüler gehalten hat. Die Tejam, welche im 16. Jahre ihres Alters verstorben /vorher aber ein Gedicht verfertiget hat / welches den Versen und Schrifften des Homeri gar nahe kommen ist; und andere mehr / welche in grosser Menge bey andern / sonderlich bey denen / welche vom Lob der Weiber geschrieben haben / zu finden sind.


Tugend und Geschicklichkeit ist an kein Geschlecht gebunden / und lebt auch nach dem Tode. Wie das Sprichwort heist: Vivit post funera virtus.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 606-609.
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