71. Exempel gelehrter Frauen unter den Christen.

[609] Anastasia des H. Märtyrers Chrysogonis Zuhörer /ist nicht allein in freyen Künsten / sondern auch in der Heiligen Schrifft so geübt gewesen / daß sie viel Send-Brieffe in Lateinischer Sprache an die heiligen Märtyrer geschrieben / und sie dadurch getröstet und[609] im Glauben gestärcket hat / wie sie dann selbst auch endlich um des Christlichen Glaubens willen verbrannt / und der Märtyr-Krone theilhafftig worden ist.

Catharina eine Tochter Costi des Königs zu Alexandria ist so gelehrt / und in der H. Schrifft erfahren gewesen / daß sie mit starcken Gründen und Schlußreden alle Doctores und Philosophos (welche ihr Heydnischer Vater versammlet hatte / die Catharinam vom Christlichen Glauben abzubringen) nicht allein überwunden und zu Schanden gemacht / sondern dieselbe auch mit ihrer Weißheit bewogen hat / daß sie allesammt den Christlichen Glauben angenommen haben.

Helena des Käysers Constantini Mutter ist nicht allein eine gottsfürchtige Frau / sondern auch in allerley Künsten und Sprachen so erfahren gewesen / daß sie viel Bücher geschrieben hat / als eins von der Fürsehung GOttes / ein anders von der Unsterblichkeit /deßgleichen ein anders von der Art recht zu leben.

Gorgonia, die Schwester Gregorii Nazianzeni, ist in der H. Schrifft so gelehrt gewesen / daß sich keiner unter den Männern zu ihrer Zeit hat berühmen können / daß er sie in Lesung oder Auslegung der Heil. Schrifft überwunden habe: Wie Gregorius in seiner Oration, so er zum Lob dieser seiner Schwester nach ihrem Tod gehalten hat / von ihr meldet.

Der H. Hieronymus lobt viel Weiber wegen fleissiger Lesung der Heil. Schrifft und ihres klugen Verstandes in Göttlichen Sachen / als die Hedibiam, Algasiam und Bresillam, desgleichen die Marcellam, von welcher er rühmet / daß sie der Heil. Schrifft so mächtig und verständig gewesen / daß / wann etwa ein Streit über der Auslegung eines Orts in H. Schrifft ist vorgefallen /[610] man ihr Urtheil darüber ersuchet hat. Die Paulam lobt Hieronymus in ihrer Grab-Schrifft /daß sie die Bibel auswendig gekont habe.

Ich übergehe hier Kürtze halber die Brigittam, welche gleichsam mit Prophetischem Geist ist begabet gewesen / und des Pabsts Hoffart in ihren Büchern hart gestrafft hat: Deßgleichen die Baptistam, Alexandri Sfortiæ Tochter / die edle Römerin Fabiolam, die Genebriam Veronensem, und unzehlich viel andere /welche durch fleißiges Lesen der Historien einen jeden mehr bekannt werden können. Eine Krone des weiblichen Geschlechts / und Ausbund aller gelehrten Jungfrauen sehen wir noch heutiges Tages für Augen an der Edlen Jungfrauen Anna Maria Schurmannia, welche nicht allein in Lateinischer und Frantzösischer / sondern auch in Griechischer / Ebräischer / Arabischer und andern Sprachen fertig / wie auch in geistlicher und weltlicher Wissenschafft über die Masse wol geübet ist / mit Verwunderung aller Gelehrten: Wie solches ihre Schrifften und Send-Brieffe / welche zu Utrecht (woselbst sie sich auffhält) gedruckt seynd /mit mehrerm ausweisen.


Wissenschafft ist wol an sich rühmlich / aber wann der wahre Glaube an Christhum nicht dabey ist / ist sie gering / nach dem Sprichwort: Si Christum nescis, nihil est, si cætera discis Derohalben sind die letztere Exempel desto fürtrefflicher / weil beydes in denselben mit grossem Ruhm herfürleuchtet.

Quelle:
Lauremberg, Peter: Neue und vermehrte Acerra philologica, Das ist: Sieben Hundert auserlesene, nützliche, lustige und denckwürdige Historien und Discursen, aus den berühmtesten griechischen und lateinischen Scribenten zusammengetragen [...], Frankfurt am Main, Leipzig, 1717, S. 609-611.
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